Sehen? Hören!

Sic! Elephanthouse, 05.05.2018: Am Samstagabend fand im sic! Raum für Kunst die Einmalige Vorführung von «Chairs, Speakers, sparse Light» statt. Ein Projekt der Künstlerin Martina Lussi und des Musikjournalisten Remo Bitzi, das die Präsentationsformen von Sound im Ausstellungsraum befragt. Dafür wurden die unveröffentlichten Kompositionen von sieben nationalen und internationalen Künstler*innen, die an der Schnittstelle von Kunst und Musik arbeiten, abgespielt.

Eine kleine Menschengruppe versammelt sich an diesem lauen Frühlingsabend vor dem sic! Elephanthouse in der Neustadt Luzern. Begrüsst wird man durch eine ausgelassene Atmosphäre. Gegen 20 Uhr mehren sich die Leute und deren Gespräche, bis sie von Laura Breitschmid sanft unterbrochen werden. Die Co-Leiterin des sic!  begrüsst und leitet in den Abend ein. Darauf folgen ein paar Worte von Remo Bitzi, der das Projekt kurz erläutert. Und dann geht’s los: Gespannt treten die Besucher*innen ein. Ein paar Holzhocker stehen im Raum, zufällig verteilt. In jeder Ecke ein Lautsprecher. Ein kleiner Scheinwerfer vorne. Mittig aufgestellt beleuchtet er die Wand dahinter. So macht der Raum dem Titel des Projektes – «Chairs, Speakers, sparse Light» – alle Ehre: Denn mehr als Stühle, Lautsprecher und spärliches Licht sind darin nicht zu finden. Die Leute setzen sich. Erste Töne erklingen. Leises Vogelgezwitscher vermischt mit einem sanften Rauschen, lassen die Gespräche allmählich verstummen.

Ein friedlicher Wald mitten in der Stadt

Der Österreicher Lawrence English macht mit seiner Komposition den musikalischen Auftakt des Abends. Die leise beginnenden Naturaufnahmen tragen einen sachte weg vom Raum, mitten in einen friedlichen Wald. Die anfangs noch herrschende Unruhe schwindet mit dem Lauschen der beruhigenden Klänge. Die Menschen versinken in sich selbst, starren konzentriert Löcher in die Luft, fixieren den Boden oder haben die Augen geschlossen und kapseln sich so von der Umgebung ab. Nach wenigen Minuten enden die Klänge. Ein kurzer Moment der Stille und es wird wieder etwas unruhig. Ein tiefes, lautes, bedrohliches Brummen breitet sich im Raum aus. Dazu mischt sich Tropfgeräusche. Ein stetiges auf und ab, laut und leise, vor und zurück – das Stück von Nika Breithaupt alias Nika Son hat begonnen. Fremdsprachen sprechende Stimmen erklingen. Die Töne überlagern sich, Echos werden erzeugt und schliesslich endet das Stück in Trommelschlägen. Der Gegensatz lässt aufschrecken.

Metall-Meditation

Sanftes Rieseln. Sand? Metallische, undefinierbare Geräusche steigen auf, brechen ab. Die Klänge werden bedrohlich, unheimlich, quietschend und sind anstrengend anzuhören, bis sie durch einen starken Bruch abklingen. Gekennzeichnet durch das immer wiederholte, aber jedes Mal andersartige Auf und Ab schafft es die Komposition  der Luzernerin Franziska Lingg, einen zu faszinieren und zu fesseln.  Das Stück vermag die Zeit vergessen zu lassen und hat eine meditative Wirkung. Man treibt weg vom Räumlichen, wird von den Tönen mitgetragen, rein in ein Reich voller Klänge. Nach dieser spannenden ersten Hälfte folgt eine kurze Pause. Noch leicht benommen von der letzten Komposition geht’s nach draussen. Füsse vertreten und frische Luft schnappen tut gut.

Kontrastierende Fröhlichkeit

Das Break endet und der kleine Raum füllt sich wieder. Mehr Leute sind gekommen, weshalb sich die Besucher*innen nun auch auf den Boden setzen. Der Raum ist voll, die zweite Hälfte kann beginnen. Wie zu Beginn des ersten Teiles, ist der Einstieg leicht. Locker-flockige Töne von Koen Holtkamp scheinen innerlich zu umarmen. Seine fröhliche Komposition bilden einen Kontrast zum eher bedrohlichen Ende vor der Pause. Es ist sehr angenehm, diesen Klängen zu lauschen, und die paar Minuten ziehen unglaublich schnell vorbei. Nun werden die Geräusche wieder bildlicher, szenenartiger, sogar greifbarer. Hagar Masoud schenkt Bilder in Form von Geräuschkulissen aus verschiedenen Grossstädten. Kinderstimmen, Strassenverkehr, Gesang sowie Tier- und Naturgeräusche vermögen an einen anderen Schauplatz zu tragen und mit inneren Bildern zu faszinieren.

Science-Fiction-Sounds

Die nächste Komposition ist von den Schweizer Newcomern Shayu + σφαιρικό. Sie beginnt schneller und besteht aus übereinandergelagerten Geräuschen unterschiedlicher Art. Die Klänge sind sehr differenziert zueinander. Durch dieses «Layern» sind zeitlich verschobene Rhythmen und Teile entstanden, die keiner speziellen Ordnung folgen. Es gibt eine Art Melodie, diese wird immer intensiver, lauter und schneller und geht dann in einen an Science-Fiction erinnernden Sound über. Das ganze Stück klingt sehr technisch – eine der faszinierendsten Kompositionen des Abends. Den Abschluss darf die Französin Félicia Atkinson machen. Vereinzelte Klavier- und Xylofontöne erklingen. Immer nur kurz, dann stoppen sie wieder. Plötzlich folgen laute Zwischentöne. Das Dargebotene erinnert an einen unregelmässigen Herzschlag oder an kurze, intensive Atemzüge. Die ganze Konstruktion wird von elektrischen Impulsen durchzogen. Irgendwie langsam, betörend und gleichförmig und doch auch manchmal ungleich und überraschend. Ein eigentlich interessantes Werk, doch mit seinen knapp 18 Minuten schlicht zu lang. Die Komposition ist nicht spannend und fesselnd genug, um für so lange Zeit darin versinken zu können. Dazu kommt die nachlassende Konzentrationsfähigkeit gegen Ende.  

Visuelle Kargheit = Verständnis der Kompositionen

Trotz des etwas langwierigen Ende verlässt man den Raum in einer tiefen und ruhigen Zufriedenheit. Dass Sound in einem Ausstellungsraum darstellbar ist, war Martina Lussi und Remo Bitzi von Anfang an klar. Deshalb lautete ihre Fragestellung auch nicht, ob, sondern wie Sound in einem Ausstellungsraum präsentiert werden kann. Die Präsentation im sic! Elephanthouse war ein Versuch der Beantwortung dieser Frage. Mit zwei unterschiedlichen Perspektiven an dasselbe Thema heranzugehen, sollte ihnen dabei zur Hilfe kommen und hat sich gelohnt: Diese Umsetzung ist sehr gelungen. Um Sound zu präsentieren, braucht es nicht mehr als das, was den Besucher*innen gegeben wurde. Denn genau diese visuelle Kargheit trug zum besseren Verständnis der Kompositionen bei. Ein lohnenswerter Besuch war’s!