Schwarze Spinne: Sehnsucht nach der ländlichen Idylle

Schwingplatz Allweg, Ennetmoos, 22. Mai 2019: Christoph Fellmann hat «Die schwarze Spinne» ins Heute geholt, Regisseurin Ursula Hildebrand als Freilichttheater inszeniert. Was als gemütlicher Abend anfängt, wirft Fragen auf – zum Glück.

Foto: Ingo Hoehn

Satt lässt sich das Publikum auf der Tribüne nieder, bewundert das schwindende Licht im Grün der Wiesen und hoch oben auf den Bergen. Der Schwingplatz Allweg im Nidwaldner Ennetmoos ist die perfekte Kulisse für die «Schwarze Spinne». Für einmal fallen Rahmenhandlung und Geschichte zusammen: Ein Schwingfest ist die Bühne, durch den Abend führt ununterbrochen überdreht ein Speaker, wie er im Buche steht (Jürg Plüss).

Natürlich wurde Jeremias Gotthelfs Novelle aus dem Jahr 1842 «in die Gegenwart geholt», wenig überraschend führt das Freiluftspiel «in unsere heutige Welt der globalisierten Landwirtschaft und der swissifizierten Volkskultur». Die Fassung von Christoph Fellmann, so steht’s in den Unterlagen, setze sich «intensiv mit der heutigen Realität der Schweizer Bauern auseinander, und mit der Sehnsucht der Städter nach der traditionellen, idealisierten Schweiz.»

Disneyfizierung in Ennetmoos

Tatsächlich bedient auch der Theaterabend auf den ersten Blick genau diese Sehnsucht: Bodenständige und doch raffinierte Verpflegung, dezenter Kuhmistduft in der frischen Luft, schwingende Fahnen hoch oben über der Bühne. Gleichzeitig: Der perfekt organisierte Shuttle-Dienst lässt vergessen, dass man «etwas ausserhalb» ist, die gesponserten Kissen und warmen Decken dämpfen die mit einer Freiluftveranstaltung verbundenen Unbequemlichkeiten. Nina Steinmanns zauberhafte Kostüme werfen Fragen auf: Ist das jetzt eine Kritik an der Disneyfizierung des ländlichen Raums und seiner Bewohner oder blosse Lust an der Farbenpracht? Oder gar: beides?

 

Je dunkler der Abend, desto schwieriger ist zu sagen, ob da unten im Tal wirklich Stans liegt – oder irgendein anderer Ort, dessen Licht die Sterne unsichtbar werden lässt. Denn die Probleme der Bauern sind geprägt durch globale Entwicklungen: Frauen emanzipieren sich und lassen sich nicht mehr auf ihre Rolle als billige Arbeitskraft reduzieren, Landwirtschaftsbertriebe müssen diversifizieren und setzen neuerdings auch in den Alpen auf Schrimps und Lamas, das ehemals Urchige wird dabei auf verkaufbaren Kitsch zugespitzt. Und klar, der Klimawandel macht den Bäuer*innen zu schaffen.

Gleichberechtigung oder Gleichmacherei

Manchmal wünscht man sich mehr Antworten, klarere Worte: Was hat das zu bedeuten, dass Frauen und Männer gegeneinander im Sägemehl antreten? Man weiss nicht so recht, ob das nun Ausdruck von Gleichberechtigung ist oder Kritik an Gleichmacherei. «Das Ziel dieser Erde ist eine Ebene», lässt Fellmann irgendwo «die Geologen» sagen. Trifft das auch auf die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern zu, zwischen Land und Stadt und all den Kulturen dieser Welt?

Ebenfalls offen bleibt: Für was stehen in der heutigen Zeit die hundert Buchen, die «Stoff» hoch oben auf seinem Grundstück haben will? Für was das ungetaufte Kind, wenn selbst in Nidwalden ein ganzes Drittel der Bevölkerung nicht mehr katholisch ist? Welche Werte verraten die Bauern heute, um wessen absurde Forderungen zu bedienen?

Doch diese Fragen beschäftigen erst auf dem Heimweg. Und das sollen sie auch. Der Abend verführt zwar dazu, einfach nur zu staunen über die vierzehn Schauspieler*innen, die auf der imposanten Bühne nie verloren wirken, über die Kulisse und die vollkommen nahtlos sitzende Musik. Unterwegs in die Stadt realisiert man dann, dass tatsächlich mehr bedient wird als die Sehnsucht nach der ländlichen Idylle.

Die Schwarze Spinne
24. Mai bis 29. Juni 2019, Verpflegung ab 18 Uhr, Spielbeginn 20.45 Uhr
Schwingplatz Allweg, Ennetmoos

Mehr Informationen: www.schwarzespinne.ch

Es singen und spielen: Sascha Bieri, Linus Bircher, Hannes Büeler, Sabine Christen, Carmen Frei, Roland Graf, Urs Kafader, Denise Kohler-Kull, Raphaela Leuthold, Pia Murer, Nadia Odermatt, Mathias Ott, Jürg Plüss, Iva Vaszary.

Text: Christoph Fellmann nach Jeremias Gotthelf, Regie: Ursula Hildebrand, Regieassistenz: Sylvie Kohler, Produktionsleitung: Anna Balbi & Jana Avanzini, Produktionsassistenz: Nadine Halter, Musik: Peter Estermann mit David Koch & Simon Iten, Ausstattung: Nina Steinemann, Choreografie: Shinichi Iova-Koga, Maske: Sabine Flückiger