Schuld und Sprache

UG, 21.03.14: Die Uraufführung von Katja Brunners Stück war herausfordernd, mutig und sprachlich ganz einfach grandios. Zu Tisch gebeten mitten im Schauspiel, sass man eingepfercht zwischen Sprachwällen und Schuldgefühlen. So fühlt es sich am Puls der Zeit des zeitgenössischen Theaters an.

(Von Flavio Marius)

Da war der Gedanke, ob man dieses Stück nicht besser selber liest, anstatt es vorgespielt zu bekommen. Eine Überflutung durch komplexe Sprachgebilde, die jenseits der allgemeinen Verständlichkeit lagen. Der Auftakt des Stückes «Ändere den Aggregatzustand deiner Trauer oder Wer putzt dir die Trauerränder weg?» wog zudem bedrückend schwer auf dem Gemüt. Eine Gruppe von Aussätzigen, vereint in der Kundgebung ihrer hoffnungslosen Sicht auf die Welt. Und mit der Dauer des Spiels wuchs allmählich eine Ahnung für das bis anhin Unausgesprochene, das im Raum stand. Es trat gerade durch die aufdringliche Unverständlichkeit der Worte ins Zentrum des Geschehens. Diese Dichte an Sprache mündete in der explosionsartigen Äusserung des Verdrängten: Selbstmord. Eine Gewissheit, die der einzige greifbare Bestandteil der Geschichte sein sollte. Und mit der Preisgabe des Grundes für die vorherrschende Trauerstimmung stellte sich auch eine Klarheit der Sprache ein. In diesem Moment, in dem wohl in den Köpfen das Publikums ein persönlicher Film zum Thema Suizid ablief, wurden die Dialoge fassbarer. Die zu Beginn verworrene Sprache, die diese bedrückende Atmosphäre der Trauer schuf, klärte sich genau jetzt auf, wo dem Verdrängten Gehör verschaffen wurde. Ein starker Moment, der erschaudern liess. Die Sprache als dramaturgisches Mittel, die nur das verständlich macht, was wir verstehen sollen, um uns danach wieder dem belastenden Grundgefühl der Schuld auszusetzen. Dabei wurden Dinge angesprochen, die im allgemeinen Verständnis die Grenzen des guten Geschmacks deutlich überschritten. Eine wütende Auseinandersetzung anlässlich der Beschneidung des Bedürfnisses nach Individualität durch die gesellschaftliche Normierung der Gefühle. Die gleichgestaltete Trauer also am Pranger. Eine Thematik, die im öffentlichen Raum kaum diskutiert wird und glücklicherweise noch im Rahmen der Kunst Platz findet. Da wurde auch mal über Geschmackloses gelacht. Das ist natürlich mutig. Man spürte aber auch die Wut im Bauch dieser Produktion, die keine versöhnlichen Töne anspielen wollte. Leider fehlte es der Inszenierung aber an Deutlichkeit, um Brunners Monolog mit Überzeugung in ein Bühnenstück zu verwandeln. Die Rollen stachen zu wenig als eigenständige Charaktere aus dem Spiel heraus und konnten sich so nur ungenügend vom Grundstoff loslösen. Doch mag darin auch die Kraft der Darbietung liegen. Denn fehlt es an den gewohnten Orientierungshilfen, sieht man sich gezwungen, selber Stellung zu beziehen. Theater also, das dem Publikum Platz auf der Bühne einräumt und zugleich zu Gedanken anregt.