Schreiende Wassernymphe & singender Tukan

Neubad, Luzern, 31.03.2018: Verworren, verraucht, verschollen und vertauscht. So fühlten sich die beiden Konzerte in den Kellergewölben des Neubads an. Die Musikerinnen Perera Elsewhere aus Berlin und Belia Winnewisser aus Luzern verzauberten ihr Publikum jeweils mit einem ungewohnten Mix aus Elektronik und Natur.

Gedämpftes Licht und Rauchschwaden in der Luft. Belia Winnewisser präsentierte heute als Solokünstlerin ihre Kompositionen. Die murmelnden Geräusche im Hintergrund verstummten und wurden durch lautes Meeresrauschen abgelöst. Zaghaft und langsam näherten sich die Leute der mystisch erscheinenden Bühne. Winnewisser versuchte, ihre Zuhörer*innen mit einem langen, aufbauenden Intro sachte an ihre Stücke heranzuführen. Ein schriller Ton erklingt aus einem Synthesizer: Schrei einer Wassernymphe. Künstlerin und Bühne scheinen im blauen Licht, das sich über das ganze, ziemlich lange Intro durchzieht. Verzerrt, verworren, verwaschen – so liessen sich die in der Folge entstehenden Klänge am besten beschreiben. Eine Zumutung für ungeübte Ohren, wirkte das Dargebotene doch technisch, maschinell und war weit weg von gewohnten Gitarren- oder Klavierharmonien. Jenes Klanggebilde wurde immer verwobener und abstrakter, bis es sich schliesslich in harmonisch klingenden Frauenstimmen auflöste. Spätestens dann war den Gästen klar: Dieses Konzert würde eine musikalische Reise werden, hinaus aus den Kellergewölben des Neubads hin zu einer finsteren Bucht, wo das stürmische Wasser an karge Felswände peitscht – kalt und unangenehm, aber faszinierend!

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Bild: Michaela Theus, zvg

Winnewisser begrüsste die Reisenden, die sie nun durch angenehmere Klänge einlullte, mit ihrer klaren, hellen Stimme. Doch der Sanftheit setzte sie bald ein Ende. Denn dazu kontrastieren alsbald aggressive Drums mit ekstatischen Zügen, verzerrte Sounds  und schräge Sequenzen. Das war weder Evje noch Silver Firs noch Palus Somnii noch a=f/m und irgendwie doch alles zusammen. Die Klangkünstlerin liess ohne Unterbruch Komposition für Komposition ineinander überfliessen, während die Scheinwerfer die Bühne jeweils in einem grellen Grün, Pink, Gelb und Rot beleuchteten. Nach gefühlten 30 Minuten voller Anspannung war der Spuk dann vorbei, es folgte eine kurze Verschnaufpause – für Gäste und Musikerin. Winnewisser wirkte erleichtert, zog ihren Mantel und Schal an und wurde von ihren Liebsten im Publikum umarmend empfangen.

Szenewechsel

Nach diesem ersten Teil schienen die Zuhörer*innen auf alles gefasst. So war dann auch der Hauptact des Abends, die gebürtige Londonerin Perera Elsewhere aka Sasha Perera, leichtherziger zu geniessen. Ihr zweites Album «All Of This» erschien letzten Juni unter dem Label Friends of Friends. Die frühere Sängerin des Berliner Trios Jahcoozi vermischt darin langsame, hypnotische Rhythmen, eine organisch/elektronische Instrumentierung, R’n’B, Trip-Hop und experimentellen Folk. Hinter der Bühne wurden Visuals ersichtlich, die das Cover ihres aktuellen Albums zeigten, allem voran eine  überdimensional grosse Taucherbrille. Doch im Verlaufe des ersten Songs verzerrten sich das Bild wie auch die Vocals immer mehr und das Publikum tauchte ein in die morastigen Tiefen eines Dschungels. Der noch von Winnewisser nachhallende elektronische Nymphenschrei wurde durch  Gesänge eines Tukans abgelöst, welche den Klängen eine exotische Note verliehen. Die Visuals wechselten von einem grün-pinken Blätterwirrwarr zu blauen Anthurien und einem gelben Apfel – alles in allem ein organisches Zusammenspiel von Musik und Bild.

Bild: Michaela Theus
Bild: Michaela Theus, zvg

Dieses wurde jedoch immer wieder durchkreuzt von abgehackten Wechseln zwischen den einzelnen Songs, Cutoffs der Synthesizer und weiteren elektronischen Finessen. Ein beklemmendes Spannungsverhältnis zwischen Natur und Technik. Ab der Hälfte ihres Konzerts löste sich Perera Elsewhere von Loopgerät und Synthies, die sie mit einer Leichtigkeit und tänzerischen Bewegungen zu bedienen wusste, und trat näher an die Zuhörerschaft heran. Der Höhepunkt entfachte sich gegen Ende der Darbietung: Die Künstlerin griff beim Song «Happened» zur Trompete und spielte diese solch einer Intensivität, dass sich auch die Gäste mitreissen liessen. Klatschende Hände und jubelnde Zurufe waren das Resultat- etwas, das bei Winnewisser in dieser Intensität fehlte, zumal ihre Kompositionen aber auch abstrakter wirkten. Im Endeffekt war der Anlass ein gelungenes Zusammentreffen zweier Künstlerinnen, die musikalisch einen abgerundeten Abend in einem düsteren, verrauchten Ambiente in den Kellergemäuern des Neubads darboten. Oder: eine Reise zu kargen Landschaften, düsteren Meeresbuchten und tiefen Dschungeldickichten, getragen von elektronischen Klängen.