Scheiss auf die Fasnacht, ich hab Besseres zu tun!

Zum Beispiel das Konzert im Südpol am Montag. Die grossartig schusselige Ziska Lovis eröffnete ziemlich abgedreht für die uneingeschränkt grossartige Wendy McNeill. Da konnte kein Kafi-Schnaps der Welt mithalten.

(Fotos: Dawid Popek)

Man sagt ja oft, der erste Eindruck sei der entscheidende. Der erste Eindruck am Montag war getrocknete Kotze auf dem Herrenklo. Ein Hauch von Fasnacht. So, blöder Scherz zum Anfang, widmen wir uns dem Wesentlichen: Zwei Konzerte, so komplett unterschiedlich, aber mit einer Konstante. Frauen mit tollen Stimmen im Mittelpunkt. Da war zunächst mal die junge Luzernerin Ziska Lovis. Ganz allein auf der Bühne, und wer weiss ob es Nervosität war oder Koketterie, oder ob dieses dauernde beschämte (allerdings auch ausgesprochen einnehmende) Lächeln tatsächlich «Warum-zur-Hölle stehe-ich-hier-oben-und-wieso-wird-mir-zugehört» ausdrücken sollte. Grund dazu hätte es auf keinen Fall gegeben. Denn zum einen hat Ziska Lovis genug Bühnenpräsenz, um so eine Bühne ganz alleine zu füllen. Und auch um ihre nicht zu verachtende Schusseligkeit in eine Showelement zu verwandeln. Zum anderen macht sie gute Musik. Zum klasse Gitarrespiel gesellt sich eine klasse Stimme. Textlich wird zwar nicht immer der einfallsreichste Reim bemüht, aber auch das mit Überzeugung. Ergibt mit Loops – auch wenn der Umgang mit dem Gerät manchmal schon fast in Schwerstarbeit ausartete – und gelegentlich eingesetzten Kinderinstrumenten eine absurde, interessante, aussergewöhnliche Mischung. Zudem «für den Fall, dass das passieren würde» als Zugabe einfach mal Toxic von Britney Spears in einen guten Song verwandelt. Noch ein bisschen flüssiger die Loops einbauen, noch ein bisschen mit dem Aufbau arbeiten, dann wird das super. Und ein bisschen verliebt bin ich ohnehin jetzt schon.

Der Grund für das mehr als ordentlich besuchte Konzert – und eine ganz deutlich viel mehr als ordentliche Frauenquote – war dann aber Wendy McNeill. Begleitet von den beiden Schweden Andreas Nordell (Kontrabass – garantiert) und Erik Nilsson (Schlagzeug), selbst am Akkordeon oder der Gitarre präsentierte sie in erster Linie die Songs der aktuellen Scheibe «For the Wolf, a Good Meal». Besagtes Werk ist ein Konzeptalbum, ein Märchen fast schon, bevölkert von mythischen Gestalten, voller Verlust und Abschied und dem Streben nach Antworten. Und ist die Musik schon auf Platte toll, präsentiert sich das Trio live überragend. Die neuen Songs haben eine gewaltige atmosphärische Dichte und können einen wirklich in diese Welt hineinziehen. Das geht soweit, dass ein kurzer Block älterer Lieder schon ein kleiner Antiklimax ist. Mit Ausnahme des fantastischen «Ask Me No Questions», der Song kann in jedem Kontext bestehen.

Im Mittelpunkt aller Lieder steht aber natürlich Wendy McNeills grossartige Stimme. Gerade noch erzählend mit einem unwahrscheinlich charmanten neckischen Unterton, kann sich plötzlich ein gänsehauterregender Refrain oder Zwischenteil auftun, ohne dass da gequetscht oder gross ausgeholt würde. Der Gesang fliesst einfach in natürlichster Weise, wie es sich für diese organischen Songs gehört. Und auch die Phantasie des Zuhörers wird angeregt, denn die besten Momente haben die Songs meist, wenn eine Idee mit dem Format für einen grossen Popsong kurz angedeutet und dann einfach weggeschmissen wird. Herauszuheben ist auch der grossartige Erik Nilsson am Schlagzeug, der mit seinem sehr einfallsreichen und dichten Spiel so viel zur Atmosphäre beigetragen hat, wie das Instrument nur hergibt. Und ausserdem eine extrem witzige Mimik hat. Herauszuheben wäre sicherlich auch Andreas Nordell gewesen, hätte man ihn denn ordentlich gehört. Es war ein überragendes Konzert – und was auch immer da noch kommen wird: Mehr als ein bisschen verzaubert bin ich ohnehin jetzt schon.