Schautafel des Wahnsinns

UG Luzerner Theater, Mittwoch, 12. September 2012; Patricia Langer (Inszenierung) und Carolin Losch (Dramaturgie) wagen sich mit «Lenz» von Georg Büchner an einen schweren Brocken. Dass dieser gestemmt wird, ist auch – und vielleicht vordringlich – der Verdienst der bestens aufeinander abgestimmten Schauspieler.

Wie bringt man «Lenz» auf die Bühne? Wie macht man daraus Theater? Wer eine Antwort erwartet, den wird der Gang ins UG nicht restlos befriedigen. Zumindest wird Büchner den Besucher, wenn er wieder an der Erdoberfläche ist, nicht so schnell loslassen. Dass dies so geschieht, ist der eindringlichen Präsenz von Bettina Riebesel (Erzählerin und Oberlin) und Jörg Dathe (Lenz) geschuldet; und selbstredend dem Genie Büchner, der die Geschichte um Lenz – 22-jährig und ungefähr ein Jahr vor seinem Tod – zu bearbeiten beginnt. Dabei entspringt die Geschichte des Lenz nicht in erster Linie der Imagination von Georg Büchner (wie könnte es bei ihm auch anders sein?): Sie orientiert sich an der realen Geschichte des Jakob Michael Reinhold Lenz (geb. 1751), eines streitbaren jungen Schriftstellers, der bei Johann Friedrich Oberlin, Pfarrer, einkehrt. Lenz, psychisch angeschlagen, verliert unter den Augen Oberlins, der es nicht verpasst, alles genauestens zu dokumentieren, den Boden unter den Füssen und gleitet in den Wahnsinn ab. Büchner greift (unter anderem gestützt auf die Beobachtungen von Oberlin) diese Vita auf. Der ehemalige Schiesskeller der Stadt Luzerner Polizei ist alles andere als ein dankbarer Raum für Bühnengestalter. Es ist deshalb immer wieder erstaunlich, wie gut es gelingt, den Raum als Bühne zu nutzen. Bei «Lenz» wurde dies sehr überzeugend zustande gebracht: Der steril kühle Raum lässt sich anfangs als puristisch anmutendes Spa lesen, das dem aufgebrachten Lenz als Ruheoase dient. Immer mehr wird diese Bühne aber zum Sanatorium, zum Irrenhaus und letztlich zur unentrinnbaren Falle: Der arme Jörg Dathe als Lenz streicht sich als Stigma des Wahnsinns Crème ins Gesicht und kritzelt wirr anmutende Dinge an die Wand; «mit mir ist es aus». Die Inszenierung von Patricia Langer arbeitet Wesentliches heraus, steckt mit Zitaten aus Kants «Kritik der Urteilskraft» einen missing link zum Mimesis-Begriff. Übers Ganze gesehen ist «Lenz» aber eine verkappte Programmschrift gegen übersteigerten Idealismus eines Genies. Solches in einem Schauspiel zu adaptieren, muss einen klein erscheinen lassen.