Sandra Hughes: Kriminaltango der Klischees

In Sandra Hughes neuem Kriminalroman geht es um die Kommissarin Emma Tschopp, die Fälle mithilfe ihrer Intuition löst. Ein Dickicht von mysteriösen Familiengeschichten, konservativen Dorfstrukturen und Stereotypen.

Diese Buchkritik erschien in unserer Oktoberausgabe. Abonnieren Sie jetzt 041 – Das Kulturmagazin und unterstützen Sie Kulturjournalismus!

Bild: Kampa Verlag / Sven Schnyder

Die Basler Kommissarin Emma Tschopp mag keine Ungerechtigkeit. Deshalb ging Sandra Hughes’ Hauptfigur auch zur Polizei. Als sich in ihren Ferien im Tessin ein Mord in einer Pasta-Fabrik ereignet – eine junge Frau wird brutal niedergeschlagen, ein Teil ihrer Haare wird abgeschnitten – fehlen jegliche Anhaltspunkte. Tatort im Tessin, Opfer aus Basel, so wird Tschopp vom lokalen Commissario Bianchi aus den Ferien und zu Hilfe geholt.

Es ist ironisch. Die in Luzern aufgewachsene Hughes will in ihrem Roman mit Rollenbildern brechen: Tschopp aus dem Norden der Schweiz ist emotional-empathisch, während der Südländer Bianchi «ganz anders als erwartet nordisch-nüchtern» agiert, eben nicht wie «der perfekte Italiener», wie uns der Klappentext verrät. Dabei löst Hughes das Klischee aber nicht auf, sie ersetzt es nur durch eine irrationale Frau, die einem sachlich denkenden Mann zur Seite gestellt wird; hallo klassische Charakterzuschreibung. Kommt dazu, dass Stereotype selbst dann aktiviert werden, wenn man sie negiert: Die Aussage, der Kommissar könnte der «perfekte Italiener» sein, setzt voraus, dass es Merkmale gibt, die italienische Staatszugehörige normalerweise erfüllen – und je mehr davon vorhanden sind, desto italienischer ist eine Person. So bleibt der Klappentext von Hughes’ Krimi ein fröhliches Sammelsurium von Stereotypen, trotz aller guten Absichten.

Die Ungerechtigkeit, gegen die Tschopp kämpft, erwächst primär aus der ungleichen Stellung von Frauen und Männern in der Gesellschaft. Eine patriarchisch geführte Familie unter Verdacht, eine junge Frau als Opfer. Doch auch hier: Tschopp verkörpert ein veraltetes Feminismus-Bild. Die Kommissarin steht in konstantem Wettkampf mit Männern, in Gesprächen mit Kollegen verteilt sie mental Punkte, wenn sie den Herren einen Schritt voraus ist oder sie mit guten Argumenten Schach setzt. Dabei wäre das nicht nötig, der Kriminalfall selber spricht viel tiefer über gesellschaftliche Probleme des Patriarchats. Es scheint, als ob Hughes ihren Motiven misstraut und so einen unnötigen (und veralteten) Geschlechterkampf entfacht. All das ist schade und lenkt ab, denn abgesehen davon ist’s eine richtig unterhaltsame Lokalkrimi-Lektüre – mitsamt wichtiger Gesellschaftskritik.

Sandra Hughes: Tessiner Verwicklungen – Der erste Fall für Tschopp & Bianchi

Kriminalroman. Kampa, 2020. 224 Seiten. 19.90 Fr.