Retina des entscheidenden Augenblicks

Kornschütte Luzern, 07.09.2014: Dort wo früher der Umschlagplatz für Korn und Mehl war, würdigt die Stiftung Fotodok zurzeit den fotografischen Nachlass des Kanton Luzern. Dreizehn zeitgenössische Fotografen und Fotografinnen aus Luzern geben Einblick in ihr künstlerisches Schaffen und präsentieren ihre Arbeiten unter dem Namen «Fotowerkschau Luzern 2014» zum ersten Mal der breiten Öffentlichkeit. Die interessantesten Projekte wurden hier zusammengestellt.

Spricht man von Kunstwerken, so denkt man als Erstes an klassische Künste wie Skulptur, Plastik oder Malerei. Dass auch (Kunst-)Werke aus der Fotografie ästhetischen Eigenwert besitzen und den Dialog mit den anderen Künsten bis heute aufrechterhalten haben können, zeigt die «Fotowerkschau Luzern 2014» exemplarisch. Die ausgestellten Arbeiten sind aber nicht als kohärente Einheit zu verstehen, vielmehr lädt die Werkschau zu vielfältigen Erkundungen der zeitgenössischen Fotografie ein. Dementsprechend lassen sich die Projekte nicht einem einzigen Thema zuordnen, sondern gliedern sich in viele einzelne. Dass Lichteffekte nicht nur als Werkzeug für Fotografien, sondern auch als Bildkompositionen wahrzunehmen sind, zeigen die kleinformatigen Lichtbilder von Hanes Eggermann. Das einfallende Licht dient bei der Zusammenstellung der Fotos wiederkehrend als Formierung von Schattenbildern, die fotografisch festgehalten werden. Andere Werke porträtieren das Spiel des Lichts mal stumpf, mal spiegelnd; nicht selten sogar gleissend. So ergeben sich interessante Konturen, Formen und Hell-Dunkel-Kontraste. Geflechte von Schattenlinien und Spiegelungen schaffen eigenwillige Bildkonzepte, welche die gegenständliche Welt und die unwirkliche Schattenwelt auf einer Bildfläche vereinen. Dokumentarischen Charakter tragen die «Fine Art Prints» von Bruno Meier. Im «Elisabeth-Projekt» wird Elisabeth zwischen 1979 und 2013 sechs Mal in gleicher Position sitzend, dem Betrachter zugewandt, porträtiert. Die singuläre Form der Porträtierten nimmt das ganze Bildfeld ein. Die gleiche Position der Dargestellten, das angezogene Bein sowie ihre wechselnde Mimik unterstreichen die Schlichtheit der Fotoserie und illustrieren den Alterungs- und Veränderungsprozess in regelmässigen Abständen. Ebenfalls dokumentarisch wird das Leben auf der Alp Risch im Entlebuch von Hans U. Alder festgehalten. Es sind Momentaufnahmen, die intime Einblicke in das Leben auf der Alp geben. Die alltäglichen Arbeiten der Schweizer Älplerfamilie werden mit einer zweiten Fotoserie verknüpft, wo Transsilvanien in Rumänien als Schauplatz der Dokumentation dient. Hier rufen weite Landschaften, mit moderner Infrastruktur durchsetzt, ein Gefühl der Aufbruchsstimmung und Hoffnung hervor. In Verbindung mit der Fotodokumentation der Alp Risch ergibt sich dem Betrachter ein vergleichendes Sehen, wo vermeintlich Bekanntes neue Details erkennen lässt. Jutta Vogel greift in ihrem Fotoprojekt Geschichten von Bosniern auf, welche nicht nur literarisch in einem kleinen Büchlein, sondern zugleich fotografisch erfasst werden. In der Bildreportage sind nicht die Porträtierten Mittelpunkt der Erzählungen, sondern die unbelebten Objekte, die mit diesen in Verbindung gebracht werden. Überraschend neue Facetten der Betrachtung führt Marco Sieber in seinen Aktfotografien «Nude Sculptures» vor. Der menschliche Körper wird in verschränkten Positionen, verfremdet, wiedergegeben. Rückgrat, Bein, Fuss und Po sind fotografisch herausmodelliert und von Parallelismen und Kontrasten geprägt. Die Fotografien eröffnen einen neuen Blick auf die Nähe, die gerade durch die Distanz des Apparates entschwindet. Die Kornschütte Luzern bietet als Fotokammer mit dem lichtdurchfluteten Raum eine ideale Inszenierungsmöglichkeit der Fotografien. Gelungen ist vor allem die Raumnutzung, die nicht überladen an Werken ist. Originell ist die Idee, dass die Fotografien an Absperrgittern einer Baustelle präsentiert werden. Die künstlerischen Projekte sind sorgfältig aufeinander abgestimmt, so dass die Vielfalt an fotografischen Arbeiten erhalten bleibt. Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie der Frage des fotografischen Augenblicks nachgehen. Sei diese nun dokumentarisch, ästhetisch oder formal zu beantworten, die Herangehensweise an die Projekte und das künstlerische Motiv gestaltet sich bei jedem Werk neu und auf individuelle Weise.  

Die Fotowerkschau ist noch bis am 20. September in der Kornschütte Luzern zu sehen. Öffnungszeiten: MO bis FR, 10:00 bis 18:00 Uhr, SA und SO 10:00 bis 16:00 Uhr.