Reiner Hölderlin und purer Nonsens

Barfood Poetry am Donnerstagabend im Südpol: Der Wiener Christian Reiner spricht Hölderlin und improvisiert sich frei, im zweiten Teil begleitet von Christian Weber am Bass. Kraft der Stille und tour de force. Sprachliche Farce oder fabelhaftes Sprachspiel?

So ruhig ist es im Südpol wohl selten. «Ich dachte erst, ich sag nix», sagt Christian Reiner lächelnd, als er die Stille durchbricht. Ruhig wird die nächste Dreiviertelstunde auch bleiben. Denn Reiner rezitiert konsequent Landschaftsstimmungen und Sinngedichte des späten, psychisch angeschlagenen – früher sagte man noch: wahnsinnigen – Hölderlin. In ihrer lyrischen Schwere verlangen die Texte volle Konzentration– auf der Bühne und im Zuschauerraum, der sich etwas mehr als zur Hälfte gefüllt hat.  «Der offene Tag ist menschenhell mit Bildern, noch als der Tag zur Dämmerung sich neiget.» Reiners Sprache ist kraftvoll, seine Bühnenpräsenz intensiv. Er ist sich für keine Pause zu schade, auch wenn die Pausen zuweilen gar bedeutungsschwanger werden, auch wenn die Gefahr gross ist, jeden Moment in Manierismus zu verfallen und die lyrische Grösse Hölderlins zum Pathos aufzublähen.

Funken bis zum Untergang Doch Reiner bleibt authentisch, selbst bei Zeilen wie: «Dann kann der Mensch des Lebens Sinn auch kennen.» Oder: «Die Lichtbarkeit gewinnt von hellen Unterschieden.» Was gewinnen wir daraus? Zumindest viel Respekt dafür, schwierige Lyrik so puristisch vorzutragen. Zu einer Zeit, in der ein Grasssches Gedicht in aller Munde ist, das grässlich über Form wie Inhalt stolpert, ist Hölderlins Sprache zwar wohltuend. In Reiners Dosierung droht sie aber den Zuhörer zu übermannen, je nach Konstitution im Guten oder Schlechten. Provokativ wirkt, was der österreichische Künstler seinem Publikum zumutet. Das ändert sich auch nach der Pause nicht, wenn die Kontemplation von der Kakophonie abgelöst wird. Christian Reiner teilt die Bühne nun mit Christian Weber und dessen Kontrabass. An die Stelle der gemeisselten Worte treten Wort- und Satzfetzen, die sich frei improvisiert aus Summen, Brabbeln und Krächzen herausschälen. Wie ein Kampfschrei für das ungewöhnliche Wort, sei es Hölderlins oder sein eigenes, wirken die improvisierten Zeilen: «Wir funken bis zum Untergang, ins Weltall bis zum Untergang.»

Ein lyrischer Helge Schneider? Der Kontrabass kratzt, knarzt und sägt dazu. Dann und wann legt er ein jazziges Intermezzo ein oder wird besänftigt mit einer elegischen Streichpassage. Weber und Reiner ergänzen sich, gehen aufeinander ein, spielen mit Rhythmus und Klangfarben. Groteskes entsteht aus dem Moment und fällt in sich zusammen, das Meiste ist grober Unfug: «In einem französischen Film gibt es keinen einzigen guten Karatekampf.» Reiner bewegt sich spastisch zur Musik, er tänzelt und singt. Hätte er, gekleidet in bunte Kostüme, ein Klavier vor sich, man könnte ihn einen lyrischen Helge Schneider nennen. Viel Christian Morgenstern, ein Verwandter im Namen und Geiste, ist in seinen Tier-Texten drin: «Wenn eine Gazelle ganz alleine steht, gesellt sich manchmal eine Giraffe.» Eine Krähe hat sich Kaffee gekauft und beginnt ein Streitgespräch mit dem Fuchs, bald beschimpfen sie sich als «Schwein» oder eben: «Krähe». Damit hat er sich endgültig von Hölderlin frei improvisiert, hat sich so weit wie möglich von ihm entfernt. Als sich die Zuschauer langsam vom Südpol entfernen, fragt sich wohl mancher, ob ein tiefer Sinn hinter dem kunstvollen Sprachspagat zu suchen ist. Unwahrscheinlich, dass sich Reiner darum kümmert, er hat einen Abend lang die Sprache ausgelotet und stiess auf Untiefen: «Sie sagt, dass sie sägt und dass sich Suchen nicht lohnt.»