Rapstasy 4.0

SRF Studio Brunnenhof Zürich, 26.01.2017: Auch an der vierten Ausgabe des SRF Virus Bounce Cyphers war die Zentralschweiz vertreten. Hier die Top 10. (Livestream-Bilder: SRF Virus)

10. Johnny Baksuz

Feuertaufe überstanden! Der Bounce-Cypher-Erstling bringt neue Sichtweisen in den Luzerner Rap. Das ist nicht schön, aber jemand muss es ja tun:

du chasch lozärn jetz nöi cho entdecke
zwösche junkies am bahnhof wo im toitoi verrecked

9. Marash

Truetalk direkt. Marash erzählt mit klaren Worten, was Sache ist, und gibt seine weitreichenstarke Stimme der Secondo-Bevölkerung in unserem Land:

i mim alter esch mi vater scho im knascht gsi
zwöi johr gsässe för dliebi zo sim land / G
hed mösse flöchte ganz eläige met mim mami
drisg johr boustell / sis läbe esch en kampf gsi
ond ech froge mech die ganz ziit
fuck wi chamer nor so starch si
mängisch schämech mech / das cha ned relevant si
ech kämpfe gäge messgonscht / är hed kämpft gäg en stasi

8. Weibello

Der leider einzige Zuger an der Cypher – aber dafür der Gewinner der Sprungfeder 2017! Chillig-geschmeidige Battlerap-Delivery zum Geniessen:

rapper wärded füecht wennech ene wiiter so as bäi säiche 
drive-bys ond high fives / sit de letschte zwäi cyphers 
rechteds parts gäg mich ond hend paar strophe gopfered 
obwohl üch mini parts doch gar ned troffe hend

7. Mimiks

Solide Höchstleistungen ist man sich von Mimiks gewohnt. Das ist paradoxerweise Gift für Wow-Momente. Reimspiele, Penis- und Whackrap-Punchlines und auch noch Eigenwerbung für «Jong & Hässig reloaded». Das klingt zum Beispiel so:

chill in gran canaria / whale watche
chome häi ond luege schwiiz rap / fail watche

Eine Stärke von Mimiks ist nach wie vor, Schlagworte der Populärkultur in seine Texte zu verstricken sowie Bruderliebe zu zelebrieren:

sit «Narcos» möched alli do of pablo
doch de änzig ächti pablo wonech könne dä esch moderator
üsi fröndschaft esch stabil so wi marmor
mer send partner in crime ond jedi böni werd zom tatort

Seine Regieanweisungen sind on point in den Textfluss gesetzt:

street tape / jetz esch ziit förne beat change [neuer Beat setzt ein]

Und wer hat schon vergessen, was 2016 neben allen Schauerlichkeiten auch noch passiert ist:

bitch mis team macht paper wi panama

6. Ali

Chur liegt in der Zentralschweiz?! Ali ist bester Beweis dafür, dass Heimat eine Attitude ist. Sein Rapper-Dasein hat sich über die Jahre organisch mit dem 041-Kreis verflochten. Mit einem epischen Beat steigt er ein, um ein weiteres Mal zu beweisen: Seine Stimme ist die Antwort auf das Orchester der Tolkien-Verfilmungen. Nichts geht da unter in den dröhnenden Paukenschlägen und schallenden Streicher-Loops. Neben aller Brachialität seines Beitrags kommt man zum Glück auch noch etwas zum Schmunzeln:

hueresohn / hueresohn / hueresohn
flueche no zom of en gueti quote cho

5. LCone

Ja, das behaarteste Joghurt Luzerns hat Unterhaltungsgarantie. Man hört einfach gerne zu, auch wenn es völlig hohl ist. Immerhin macht er seine Hohlheit dank einprägsamer Diktion und Syntax transparent. Auch immer wieder faszinierend, wie souverän er bei nahtlosen Beatwechseln von Flow zu Flow springen kann. Eine Kostprobe für all seine vegetarischen Fans:

log ech chönt au oni rap berüemt wärde
log ech chill i gmüesgärte
ond er wörded füecht wärde

4. Visu

Der Nice Dude aus Beromünster war eine willkommene Auflockerung nach den angespannten Battle-Parts des 041-Blocks vor ihm. Als lägen nicht tausend Zornestropfen in der Luft, hat er mit aller Selbstverständlichkeit Feelgood-Stimmung verbreitet. Sein Flow passt perfekt auf die Message:

gse eigentlech kän battle rap MC i mer
denne as bonker / as vbt / ultimate / öberall beni als sieger he
vellecht well ech das deng da emmer zemlech easy nemm
drom diss mech eifach witer / ech ha trotzdem nome liebi kid

Im letzten Part wirds dann aber auch bei Visu etwas trister:

dlektion ide sek nor öbersto zom denne is läbe starte
grad of dwält cho ond gse do goz nor om gäld ond schaffe
i dem chline land met dere rise grosse sälbschdmordrate
also frog dech wiso / mer wösseds jo ergendwie scho
mer mössted scho nor wägem gwösse was mache
wöll klar esch  do osse send lüt of de flocht
doch mer fegged nor druf  wöll mer hend sälber zvell problem
aber merked ned dass die ned existänt send
sondern nor gmacht vom ganze system
ond drom hälfemer ned

3. Exist

Wenn Rapper nicht nur im Rapgame gewinnen wollen, sondern komplexere Überlegungen mit Lyrik vereinen, dann klingt das zum Beispiel so:

hey ond du hesch emmerno kä stell becho
ond verlürsch dech i paar dokus öber dNWO
mäinsch ez ärnscht du hesch dwohrheit vode wält erkannt
dine horizont dä änded bide chällerwand
[...]
drom glaubsch burkaplakat wo stemme sueched
wöll de tatsache det ned is gsecht mosch luege

Besonders stach Exist aber mit seinem letzten Part heraus. Wer sonst neben Exist hat die Eier, an einer Cypher konsequentes Storytelling in allegorischer Manier zu droppen? Es geht um einen Zirkusclown:

ond woner gsed dass all norno dä clown liebed
wo im takt vode musig cha met de mäischte bäll jongliere
rennt är kränkt vor niid ond dem rummel besässe
i die zerkusmanege ond rüert sim idol e torte id frässe
grosses glächter / för e paar sekonde 
hed är die schadefrohe klatscher vode masse gwonne
doch wo de vorhang fallt ond d räng sech lääred
chond das gfühl weder zrogg dass en die wält ned gärn hed
voller gstautem froscht ond x sälbschtzwiifel
wotter sech die roti nase vo sim gsecht wägriise
aber si hed lengschdens sini seel ufgfrässe
är esch verdammt dezue demet ufzträtte

2. Pablo

Ist es fair, Englisch-Rap mit Schweizerdeutsch-Rap zu vergleichen? Man versteht ja bei den Mundart-Rappern schon manchmal nicht, was sie sagen. Und wenn dann so ein Wortvirtuose wie Pablo sein krankes Mundwerk auf Englisch spielen lässt, wer folgt da noch? Glücklich, wer es tun kann. Zentralschweizer Rap gibt es auch in Englisch auf höchstem Level, und das tönt dann zum Beispiel so (man kann sich hier ruhig eine Vinnie Paz-Stimme vorstellen):

wall buidling fascist motherfuckers? I say God, no!
we got to make god know, but wait, is there a God? no
I'm pretty sure, but if there were? you'd hear the word of god: "no"
[...]
no point in being coddled, we in need of saws bro
for these gordian knots, so 
i wish it were not so
lets flip the bird: picasso

Als einer der Cypher-Hosts (mit ihm Mauro Wolf) schliesst er traditionsgemäss die sechsstündige Radiosendung jeweils ab. Sein zweiter und dritter Part steigern Tempo und Intensität, Pablo teilt aus und wartet auf seine Erlösung als Endboss:

cypher seven / teen, I've still not found my equal
one more year until she legal

1. Dave

Wer den Radiohit «Madame» von Marash & Dave kennt, hat vielleicht aufgehört, Dave als Rapper ernstzunehmen. Ein fataler Fehler. Zum Glück gibt es Events wie die Bounce Cypher, wo Rapper dank natürlicher Habitatsbedingungen Homo sapiens-Artistik mit ursprünglicher Animalität zur Powerfusion bringen. Gründe für Platz 1: Dave spricht vieles an und macht Flowvariationen, aber doch wirkt es als ein langer Part mit einer zentralen Message. Formale und inhaltliche Einheit ist gegeben, ohne eintönig zu sein. Dave baut dramatisch auf. Der Einstieg ist einigermassen gemächlich und liefert mehrere Flashbacks, um seine Rapperstory zu beleuchten und die persönliche, realtalkige Perspektive seines Parts zu verdeutlichen. Dabei wird er nicht geschwätzig. Die Fakten kommen auf den Tisch und weiter gehts. Die Erzählung drängt ständig nach vorne. Vielleicht muss er deshalb mehrmals in der Zeit zurückspringen. Doch das Vorwärtsdrängen ist dem Inhalt geschuldet. Trotz katholischer Kunstliebe, wie es sich für einen Luzerner gehört, weht eine raue, protestantische Arbeitsethik durch seinen Text, denn das Ziel ist King zu sein:

king häisst / dass scho ab de chendheit
dosse jede grend wäiss / wer dä dave esch

dass du met bestemmtheit / allne dine felm zeigsch
allne dini stemm zeigsch / au wenns schwär esch

Dave gibt sich ehrlich und direkt, no-nonsense Rap in voller Ernsthaftigkeit. Da ist kein Schnickschnack, doch Formbewusstsein. Die Spannung wird gehalten bis zur letzten Silbe. Die Delivery ist schmerzhaft unmenschlich. Mehr Schweissperlen drücken aus der Stirn mit jedem Endtakt. So läuft das:

jedesmol wenn lüt mech froged wiemers mache muess
zom rappe / mues ech luege dass ech ned grad uselache mues
es ged käs rezäpt ond es esch schwär das esch normal
mann es god nor met üebig ond es paar närvesäil us stahl
es esch ganz normal wenn dini erschte songs zom chotze send
au wenn dini zwöite songs zum chotze send
es esch normal wenn dech vellecht paar lüt es opfer fended
hater gez / wechtig esch nor dass du niemols locker gesch
das esch liechter gseid als gmacht / ech weiss
doch s esch nie ganz eifach
erwart nie dass der liebi zeigt wird
vo ergend öpperem / wöll das nüt brengt
so vell hass ond messgonscht
ide szene / ech vermess dkonscht

Und nicht zuletzt heizte Dave die Crew in seinem Rücken ein. Denn er eröffnet die Luzerner Stunde. Die Blase, in der seine Kumpels abgehen, hat er gemacht.

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