Qualmend im nirgendwo – Ellen Reksom im Theater Pavillon

Sieht man von den Unzulänglichkeiten, die Generalproben an sich haben, ab, so überzeugt die Theatergruppe Ellen Reksom ein weiteres Mal durch grundsolide Leistung. Zur Erinnerung: Ellen Reksom ist ein Laienschauspielkollektiv von sechs jungen Frauen, die sich in Luzern langsam und mit stetiger Sicherheit zur Institution im ambitionierten Laienschauspiel mausern. In losen Abständen geben sie Einblick in ihr Können. So auch gestern mit einer Bühnenadaption von Judith Hermanns Kurzgeschichte «Sommerhaus, später», das im gleichnamigen Band 1998 erschienen ist.

(Bild: Micha Bietenhader)

Judith Hermann ist bekannt für ihre leichte und knappe Prosa. Sie gilt wohl zu Recht als eine der ersten, die das Leben einer bestimmten Schicht von Jugendlichen literarisch bearbeitet hat. Ihre Geschichten handeln von Menschen, die ob den Möglichkeiten und Versprechungen, die ihnen die postmoderne Wohlstandsgesellschaft vermeintlich anbietet, überfordert sind. Schwankend, zwischen dem Unfertigen und dem Herantasten an die Arrivierung, taumeln sich Hermanns Protagonisten durch das Leben. Wie immer bei solchen sozialen Phänomenen hinkt die Schweiz zwei Schritte hinterher – ob dieser Umstand nun gut oder schlecht ist, darüber liesse sich trefflich streiten. Wie auch über den intellektuellen Gewinn von Hermanns Literatur; unbestritten ist aber ihre herausragende Fähigkeit, vertraute Stimmungsbilder zu evozieren und sprichwörtlich den Nerv der Zeit zu treffen. Ob sie einst – wie Goethes Werther (die getrost auch als «Generationenliteratur» bezeichnet werden darf) – in 200 Jahren noch gelesen wird, das wird die Zukunft weisen. Leider klammert sich das dargebotene Theater etwas gar stark am vorgegebenen Text, der von Personen handelt, die sich abwechselnd nähern und entfremden. Eigene Sichtweisen und Schwerpunkte werden leider nur zaghaft vorgebracht. Etwa dann, wenn ein Versatzstück einer Rede von Rainer Werner Fassbinder eingespielt wird. Von Raffinesse zeugt die subtile und behutsame textliche Umgestaltung der Vorlage, die erst dadurch ihre Tauglichkeit für die Bühne erlangt. Dem Ensemble gelingt es, mit einem ästhetisch und funktional sehr durchdachten Bühnenbild die Stimmung des Werkes einzufangen und mittels schauspielerischer Darstellung zu intensivieren. Aufgestapelte Paletten, herumliegende Matratzen und  angesammelte Flaschen bilden den Rahmen für die Darstellung des Unfertigen und des Vagen; die Grundstimmung der Geschichte wird gleichsam plastisch adaptiert. Mit Bildprojektionen auf Polyester-Wellblech wird der narrative Strang bildhaft unterstützt. Die Bühne überzeugt – trotz ihrer Einfachheit – durch Liebe zum Detail. Die schauspielerische Leistung ist erstaunlich und trägt mit dazu bei, dass trotz gewissen Längen nie Langeweile aufkommt. Natürlich darf auch die Zigarette, das «Leitmotiv» Herrmanns schlechthin, nicht fehlen. In diesem Objekt verdichtet sich die Widersprüchlichkeit, mit der sich die Protagonisten und mit ihnen die porträtierte Generation konfrontiert sieht. Steht sie doch heute für Subversion wider den (staatlich) verordneten Gesundheitswahn, wobei sie gleichzeitig Sinnbild für den zur Sucht gewordenen Konsum ist. Auf der Bühne wird dann auch unablässig gepafft. Nicht zufällig brennt endlich das Sommerhaus nieder. Es ist zu wünschen, dass sich viele junge Menschen ein Beispiel an Ellen reksom nehmen und es ihnen gleich tun; die Gruppe ist bestes Vorbild für den engagierten Bürger. Solchem Engagement und Herzblut – ohne Streben nach Geld oder grosser Anerkennung – gebührt aufrichtiger Respekt. Die beteiligten Personen strafen jene Lügen, die nur kritisieren, selbst aber keine Hand bewegen.

Ellen Reksom: «Sommerhaus später»: FR 24. September, 20 Uhr (Premiere). Weitere Vorführungen: SA 25., DO 30. September, SA 2. Oktober, jeweils 20 Uhr, Theater Pavillon Luzern. VV: www.ellenreksom.ch