Poppen in der Provinz

Auf dem Land liegt an so mancher Ecke Stroh – doch das Angebot an Menschen, mit denen man sich in den wilden Jugendjahren darin wälzen möchte, ist klein. Ein paar Gedanken zu den Konsequenzen, die sich aus diesem Mangel ergeben.

Illustration: Luca Schenardi

Dieser Beitrag erschien in unserer Novemberausgabe. Abonnieren Sie jetzt 041 – Das Kulturmagazin und unterstützen Sie Kulturjournalismus!

Romeo und Julia auf dem Dorfe. Bestimmt eine ganz hübsche Geschichte. Doch wer nicht ganz so romantisch und dramatisch veranlagt ist, kann auf dem Dorfe auch ganz andere Erfahrungen im Stroh sammeln. Oder an jeder beliebigen Hundsverlochete. Klar. Die Stadt lockt mit Anonymität und Vielfalt. Es gibt mehr Matches auf Tinder, mehr Bars und WG-Partys. Doch über die Jahre, als ich Freundschaften mit Stadtmenschen einging, wurde mir klar: In deren ach so mondänen Citys ging es lange nicht so ab wie bei uns. Da war eine echt geschockt, mit süssen 17 Jahren, als sie aus der grossen Stadt zu uns aufs Land zog. Das unendliche, immer wieder neu kombinierte «Wer-mit-wem» stand «Gute Zeiten, schlechte Zeiten» in nichts nach.

«Denn mir ist aufgefallen, zwischen Hummus und Taboulé: Ich hatte mit jedem einzelnen Mann an diesem Tisch Sex.»

Ein halbes Leben später zeigen sich die Auswirkungen: ein typischer Samstagabend mit Mitte dreissig. Wir sitzen in einer schicken Altbauwohnung in der Luzerner Neustadt zusammen. Es läuft französischer Chanson, eine Kerze brennt. Verheiratete und schwangere Pärchen lachen und plaudern und teilen selbst gemachte Mezze – ich teile mit allen Damen am Tisch noch ein klein bisschen mehr. Denn mir ist aufgefallen, zwischen Hummus und Taboulé: Ich hatte mit jedem einzelnen Mann an diesem Tisch Sex. Und das ist nicht verwunderlich. Nicht etwa, weil ich ein besonders schmutziges Ding bin. Der Grund, und ich werde nicht die einzig Betroffene sein, ist unser aller ländliche Herkunft. 

Zugegeben. Auch Luzern ist nicht gerade gross. Und es kann tatsächlich passieren, dass intimste Anekdoten über die Performance eines jungen Mannes zum Besten gegeben werden, während der betroffene Herr unbemerkt am Nebentisch sitzt. Doch ihr lieben Stadtmenschen, lasst es euch gesagt sein: Ihr habt keine Ahnung davon, was Promiskuität in der echten Provinz bedeutet. Denn die hat diesen einen grossen Haken: Die Auswahl an attraktiven und altersgerechten Sexualpartnern ist winzig.

LucaSchnenardi

Stellen wir uns Obwalden vor mit seinen weniger als 20 000 Einwohnern (die knapp 20000 Einwohnerinnen reizten mich in jungen Jahren höchstens für aufmerksamkeitsheischende Küsse auf der Tanzfläche). Vom Rest subtrahiert man dann auch alle unter 15 und über 25 Jahren, alle mit mehr als 50 Prozent Pickelfläche und natürlich die Lateiner. Dazu kommen persönliche Vorlieben, so fand ich etwa die Skater mit ihren am Abgrund hängenden Schlabberhosen und Klumpfussschuhen besser als die engbehosten Guggenmusik-Jungs. Da bleiben nicht mehr viele Optionen. 

«Weil man in der Regel mit ähnlich gestrickten Menschen befreundet ist, tanzt man plötzlich auf den Hochzeiten von Ex-Freunden und ehemaligen Bettgspändli.»

Das realisiert man spätestens dann, wenn’s mit dem Heiraten losgeht. Weil man in der Regel mit ähnlich gestrickten Menschen befreundet ist, tanzt man plötzlich auf den Hochzeiten von Ex-Freunden und ehemaligen Bettgspändli. Fast ausschliesslich sogar, muss ich mir eingestehen – natürlich abzüglich der Hochzeitsfeiern der Familienmitglieder (so ländlich ist es dann auch wieder nicht).

«Aber der Bro-Code!», höre ich sie grölen, mit ihren Fäusten auf der definierten Brustmuskulatur rumpolternd. Nun, während der Bro-Code in Filmen meist darauf abzielt, dass die Ex des Kumpels tabu ist, beinhaltet unser Sis-Code auf dem Lande ganz andere Grundsätze. Meine beste Freundin litt, verzehrte sich nach einem jungen Mann aus unseren Gefilden. Nur wenige Monate zuvor hatte ich mich noch mit diesem vergnügt, zwischen dem Schützen- und Zunftlokal. Aus diesen Erfahrungen schöpfend, konnte ich ihn nur in den höchsten Tönen loben. Guter Typ, gescheit, fit, experimentierfreudig, verhütungssolide, ein sehr demokratisches Sexverständnis. Kreativer Körperschmuck dazu. Weshalb zur Hölle sollte ich so jemanden meiner besten Freundin nicht empfehlen? Weil da Gefühle mit im Spiel waren? Ein Grund mehr, dass der Typ offensichtlich toll ist.

Teilen. Das wird schon den Kindern gelehrt. Dann hat man viel mehr zum Spielen.