Popcorn! Wahnsinn! Glühwein!

Südpol Luzern, 05.12.2015: Die zweite Hollywood-Expedition des Duos Daniel Korber und Dominik Wolfinger rekapitulierte den Klinikklassiker «One Flew Over the Cuckoo’s Nest». Die Theaterversion ist ein sich selber nicht ganz ernstnehmendes Gag-Feuerwerk mit anschliessendem Schiffsausflug – for real.

Die Filmauswahl der insgesamt sechs Episoden ist sehr vielfältig, aber irgendwie doch auch willkürlich, fast so als ob kein einheitliches Konzept dahinter stünde: #1 – THE WEDDING SINGER, #2 – ONE FLEW OVER THE CUCKCOO’S NEST, #3 – MULHOLLAND DRIVE, #4 – 2001: A SPACE ODYSSEY, #5 – HAIR, #6 – *PUBLIKUMSWUNSCH. Alles unbestrittene Meisterwerke – na ja, vielleicht bis auf den ersten. Korber und Wolfinger wollen «die Fantasien, Kämpfe und Utopien, welche uns diese Hollywoodfilme einhauchen, auf ihr Stehvermögen in der Wirklichkeit überprüfen». Daniel Korber kennt man von «Verona 3000» und als immer für eine Überraschung guten, lokalen Singer-Songwriter-Theatermacher. Dominik Wolfinger ist Teil der Blödeltruppe «Bild mit Ton», einem gelungenen Mischmasch aus Monty-Python-Anarchismus, Youtube Poop und gutem, alten Dada. Die beiden hätten sich beim Studium an der ZHdK kennengelernt, wie man hört. Zusammen heissen sie «Bananenschachtelrepublik». Gut, dass sie zusammengefunden haben. Mehr Unterhaltung in 60 Minuten geht fast nicht. Ausgangssituation: Psychiatriealltag der beiden Insassen Koller (Korber) und Wolfisberger (Wolfinger). Der eine will mehr Kaffee («ECH WOTT MINE KAFIIIIIIIIIIII»), der andere weniger Morgenrunden (Zitate sind bei Wolfinger schwierig, hinter dem tiefen Gemurmel versteht man fast nichts). Sie streiten, spielen, rauchen, werfen Jasskarten und Spielfiguren herum und laufen wie wild durch die Klinik erinnert an das beliebte Computerspiel «Die SIMS» oder an Brettspiele, wie alle in linearen Bahnen auf und ab, links und rechts durch die kleine Halle des Südpols latschen. Der Psychiatrieleiter (Peter Girsberger) geht mit den Medi-Dosen rauf und runter und die Pflegerin (Naira Ramos) versucht ihr Bestes. Korber stottert, Wolfinger zittert. Nur schon ihre Interpretationen von typischen Kranken ist zum Prusten; Running-Gags (Das stete «Dech hani au scho gse» von Korber) und zahlreiche Absurditäten runden das Ganze ab. Leider war ich so gut unterhalten, dass ich während dem Stück keine Bilder gemacht habe.

Die Bühnensituation muss man sich in etwa so simpel wie das Wohnzimmer in «Rabbits» von David Lynch vorstellen. Auch sonst erinnern die Bewegungen und das Gefasel an die Miniserie des Mr. Mysterio. Einfach an eine extrem lustige Version davon: [youtube]https://www.youtube.com/watch?v=GxKPBLjHAEA[/youtube] In der Bevorschauung hat man sich philosophische Fragen vorgenommen wie: «Könnte man aus einer fast optimistischen Perspektive sagen, dass es die Anfälligkeit für den Wahnsinn ist, welche uns Menschen kulturübergreifend verbindet? Und was verrät unser Umgang mit der eigenen Psyche über unsere Kultur?» Nein. Echt nicht. Einfach nein. Das ist urkomisches Theater aber ohne Tiefgang. Okay: wenn die beiden Insassen fernsehen und zwischen einer Cillit-Bang-Werbung, dem Bachelor auf 3+, Bud Spencer, Tierdokumentationen und einer bedrückenden Reportage zu Flüchtlingen hin- und herzappen, wird die Unterhaltung wortwörtlich durchbrochen. Aber die Lacher dominieren und ersticken solche Zwischentöne.

Nach 45 Minuten droht immer noch kein Leerlauf, die Gags sitzen, das Publikum ist höchst amüsiert. Und wer kommt um diese Zeit? Der Samichlaus! Patric Gehrig als Nikolaus ist das Sahnehäubchen und spielt den alten Mann so authentisch, dass man sich direkt in die Kindheit zurückkatapultiert fühlt. Wo man aus seinem dicken Buch die eigenen Laster vorgelesen bekam, mit einem Sprüchli einen Haufen Mandarinli und Nüssli aber auf sicher hatte. «Hesch denn du es Spröchli för de Samichlaus?» Andi Koller hat ein Sprüchli: «Ob gschobe oder gschtoche, ufem Tesch müend alli verrecke.» Die kleine Halle tobt. (Der Satz ist ein Running-Gag, den Korber immer wieder bringt). Überhaupt ist beim gestrigen Abend schwer abzuschätzen, was geplant und was improvisiert ist es ist ein Heidenspass, weil die Spielerinnen und Spieler selber einen Heidenspass haben.

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Daniel Korber mit gelber Kappe. Dominik Wolfinger nicht im Bild. Bumm, Licht an. Eine Stunde, das war’s. Aber: Wir seien gut in der Zeit, mein Korber. Jetzt geht man mit einigen Samichlaussäckli, Laternen und Glühwein in den Tiefbahnhof auf der Allmend, nimmt die S-Bahn nach Hergiswil und fährt von dort mit dem MS Rütli zum KKL. Yeah, der Wahnsinn des Theaters wird nach draussen getragen und infiziert Luzern. (Ok, ganz so spektakulär war es nicht. Die Reise wurde vorher etliche Male angekündigt («Danach laden wir alle Anwesenden ein auf einen geilen Ausflug (es gibt Glühwein)» oder «PSYCHIATRIE-THEATER dann SCHIFFFAHRT und GLÜHWEIN!»), aber glauben konnte ich das nicht so recht.) Die Reise ist dazu da, «über das Stück zu diskutieren und gescheite Sachen zu sagen», was bis jetzt nicht der Fall gewesen sei. War natürlich auch auf dem Schiff nicht der Fall. Glühwein und Mandarinli ist halt nicht so der inspirierende Frass. Dafür haben wir ein paar Liechtli über die Leuchtenstadt steigen lassen: [youtube]https://youtu.be/y8H855mnrCI[/youtube] Und: [youtube]https://youtu.be/yorOO-Tesyg[/youtube] So absurd und einmalig, dass man die nächste Ausgabe nicht verpassen will. Vor allem bin ich gespannt, ob die beiden mir MULHOLLAND DRIVE erklären können. Und ob’s wieder so lustig wird. Oder ob sie das nächste Mal auf todernst machen. Ich bin auf alles gefasst! Was, ihr habt MULHOLLAND DRIVE noch nicht gesehen?!

Hier der Trailer: [youtube]https://www.youtube.com/watch?v=By2iS9uHGM0[/youtube] #3 – MULHOLLAND DRIVE: Donnerstag 28. Januar 2016 20 Uhr; #4 – 2001: A SPACE ODYSSEY: Samstag 2. April 2016 20 Uhr; #5 – HAIR: Samstag 29. Mai 2016 20 Uhr; #6 *PUBLIKUMSWUNSCH: Samstag 25. Juni 2016 20 Uhr, Südpol Luzern. Idee & Künstlerische Leitung: Daniel Korber;
 Gastgeber & Performance: Daniel KorberDominik Wolfinger, Naira Ramos und diverse Gäste je Episode;
Produktionsleitung: Kathrin Walde;
 Kamera: Savino Caruso;
 Praktikum: Naira Ramos; 
Ko-Produktion: Südpol Luzern.