Poetischer Persönlichkeitsverlust

Kleintheater, 10.01.14: Im vierten Teil der Reihe «Vom Vergessen» führt uns der Schauspieler Jaap Achterberg ein intimes Stück Familiengeschichte aus der Feder Arno Geigers vor. Demenz poetisch beleuchtet.

(Von Flavio Marius / Foto: achterberg.ch)

Den mehrheitlich grauen oder kahlen Häuptern, die an diesem Abend das Parkett des Kleintheaters füllten, wurde ein Ein-Mann-Theater geboten, dessen Wirkung keineswegs nur älteren Generationen vorbehalten ist. Mag die Demenz sehr wohl erst in der Herbstzeit des Lebens zur lauernden Gefahr werden, setzte sich Jaap Achterbergs eindrückliches Schauspiel über Altersgrenzen hinweg und stellte die wunderbare Sprache des Autoren des Stückes (Arno Geiger) in den Vordergrund. Aufhänger dieses Zwiegespräches zwischen Vater und Sohn war dabei natürlich weniger die Demenz, die nur allzu schauderhafte Assoziationen zulässt, als das Zuhause; der gemütliche Hort des Vaters, der ihm durch den Gedächtnisverlust allmählichen abhanden kommt. Die Tragödie eines alten Königs, der nichts anderes als Geborgenheit sucht und sie dennoch nicht findet. Achterberg ereifert sich dabei nicht der vergeblichen Aufgabe, über den Umgang mit Alzheimer anzuleiten, sondern stellt die zwischengenerationelle Auseinandersetzung ins Zentrum, wie sie in jeder Familie lauert. Das führt am Ende des Stückes zu einer Aussöhnung. Doch würde man es sich mit dem Vorwurf, dass ein Schauspiel über Demenz nicht mit Erleichterung schliessen kann, zu einfach machen. Denn die Betonung liegt nicht bloss auf einer erlangten Leichtigkeit, die der Verlust der Selbstständigkeit mit sich bringen mag, sondern auf der Möglichkeit, festgefahrene Beziehungen im Lichte einer Veränderung neuzugestalten. Alzheimer hin oder her. Damit gelingt es Achterberg sein Publikum vollumfänglich anzusprechen. Trotzdem fehlt einem die totale Verzweiflung des Sohnes, die an keiner Stelle vollumfänglich durchzubrechen vermag. Denn auch diesem kommt ein Teil seiner Geschichte und Person, seiner Wiege abhanden. Ein Persönlichkeitsverlust, der sich durch eine ganze Familie zieht. Und es fehlen die unausgesprochenen dunklen Gelüste des Sohnes, die durch die Situation aufgeweichten Machtverhältnisse umzukehren. Wo, wenn nicht hier, in einem Stück über familiäre Beziehungen, sollten diese grundlegenden Thematiken diskutiert werden? Daher das Fazit: Wer die krankheitsbedingte Komik des Vaters auskostet, sollte das Publikum auch Tränen und Geschrei aussetzen.