Panorama des Scheiterns

Wenige Arbeiten der diesjährigen Werkschau 09 des Studiengangs Kunst & Vermittlung Hochschule Luzern Design und Kunst haben mich wirklich beim krausen Schopf gepackt. Herauslesen lässt sich eine deutliche Tendenz zur Malerei, auch bei denjenigen, die eigentlich in anderen Medien ihre Stärken haben. Ansonsten wird aufgewartet mit beliebigen Formenspielen und aus der Not eine Tugend machende Arbeiten. Und doch blitzten in einigen Ecken und Nischen des Südpols Luzern vereinzelt Perlen auf.

(Von Andrea Portmann)

Das Scheitern ist ein Topos in der bildenden Kunst. Auf unterschiedlichen Ebenen. Sei es auf der Seite der Rezeption, dass ein Werk eines Künstlers, einer Künstlerin gar nicht erst wahrgenommen wird und somit der Vergessenheit anheim fällt (das sind dann oft auch die, denen nach dem Tod an ein Wunder grenzende Bewunderung zukommt, vgl. Giacometti), sei es, dass die BetrachterInnen in Angesicht bestimmter Werke «kapitulieren», weil sie keinen Zugang finden (oder zu schnell aufgeben), oder seien es – um einen Perspektivenwechsel zu wagen – die Kunstschaffenden, welche das eigene (vermeintliche) Scheitern bis zum Exzess thematisieren oder die Angst vor dem Scheitern in unbändige Kreativität umsetzen.

Der Titel «Panorama des Scheiterns» ist nicht auf meinem Mist gewachsen. In der Ansprache zur Ausstellung durch zwei Dozenten fielen bei beiden auffällig oft die Worte «scheitern», «Potential des Scheiterns», «Scheitern als Übergang» oder eben «Panorama des Scheiterns». Und doch betonten beide, dass es eine «sehr schöne Werkschau» geworden sei. Das lässt vermuten, dass sich das Scheitern als ästhetische Strategie durch die Ausstellung zieht, vielleicht auch als Kunstgriff verstanden werden kann.  

Meine Ansprüche an die Kunst sind hoch, ich gebe es zu. Sie soll mich irritieren, aufrütteln, erschüttern, verstören, zum Innehalten, Verweilen und Nachdenken anregen, meine Phantasie ankurbeln, mich berühren, neue Sichtweisen auf den Alltag eröffnen, andere Welten kreieren, die Aufmerksamkeit auf Dinge lenken, denen man keine Beachtung schenkt, Neuentdeckungen möglich machen, alles (vermeintlich) Fixe aus den Fugen schwingen, Gesellschaftskritik üben, das Kunstsystem selber unter die Lupe oder noch besser aufs Korn nehmen. Oder sie soll berauschen, verführen, gefallen, einfach oder komplex schön sein, wie Kant schon so treffend sagte «interesseloses Wohlgefallen» ermöglichen, einen auf nobler Distanz halten. Auch skizzenhaft kann sie sein, tentativ, spielerisch, tapsig oder experimentell, etwas sachte andeutend. Im besten Fall ist beim Verlassen einer Ausstellung nichts mehr so, wie es eben noch war. Eigentlich soll ich der Kunst keinen Anspruchskatalog auftischen. Sie ist frei und macht ja eh, was sie will.

Vieles erscheint mir beim Gang durch die Werkschau 09 beliebig, gefällig, zu wenig durchdacht, zu wenig forsch, zu wenig forschend. Viele haben sich in Malerei versucht, man ist versucht, daraus einen Trend zum Traditionellen herauszulesen (ich bringe jetzt nicht die Krise ins Spiel), vor allem auch im Vergleich zur Bachelor/Diplomausstellung letztes Jahr in der Turbine Giswil, als unbefangene Experimentierfreudigkeit aus allen Ecken quoll, zahlreiche installative und medial knifflige Arbeiten die Sinne der BesucherInnen lockten und herausforderten.

Die Hinwendung einzelner Studierenden zur Malerei erstaunt umso mehr, so man einen Blick in ihre Dossiers wirft und merkt, dass einige in anderen Ausdrucksformen viel stärker sind, eine filigrane, kleinformatige Zeichnung beispielsweise mehr überzeugt hätte, als eine grossformatige, dick aufgetragene Malerei. Vor allem diese Studierenden wurden von der Jury arg auseinandergenommen, liess ich mir von verschiedenen Seiten zuzwitschern, die Malerei sei, im Grossen und Ganzen bei den Dozierenden nicht gut angekommen. Da frage ich mich, ob die Studierenden während ihrer Abschlussarbeit überhaupt betreut werden ...

Und doch hat es vereinzelt Bilder, die sowohl aufgrund ihrer Machart, wie auch der gezeigten Sujets bestechen. Die intimen, schwermütigen Porträts von Simon Marfurt, bei denen man das Gefühl hat, dass die Porträtierten ganz bei sich sind, verweilen, der heutigen schwirrenden Zeit eine Schwere entgegenhalten zum Beispiel. Oder das ebenfalls eher düster wirkende, grossformatige (415 x 290 cm) Hundsbild «ferngesteuert» von Andrea Wolf, in dem eine Reihe monströser Hundgestalten die BetrachterIn frontal anblicken und eine unheimliche Schauerstimmung verbreiten. Eine frische Portion Zirkus und Hasenwitz bringt die bunte, naiv und linkisch gemalte Serie «Eigentlich mag ich lieber Glacé» von Meret Wüest.

Wenige Arbeiten sind raumgreifender, skulpturaler, interventionistischer, aktionistischer Art oder den neuen Medien zugehörig. Einige wenige seien herausgegriffen: Mitten im kleinen Saal plustert sich eine grosse, von der Decke bis fast zum Boden reichende Wolke knisternd auf, um sich daraufhin wieder ebenso knisternd und kringelnd zusammenzuziehen. Wenn man gut hinhört, klingt es, als würde es regnen («Gezeit» von Sabina Gnädinger). Im grossen Saal nebenan kann man sich in «Alice im Wunderland»  verwandeln und einer grasfressenden Katze?, einer grassfressenden Schnecke?, wie auch immer, einem schmatzenden, grasfressenden Tier durch ein Grasdickicht folgen («Eat me», Andrea Beglinger).

Opulent zu und her geht es in Maja Zimmermanns Tableau Vivant «Fröhliche Gesellschaft», das in einem der Künstlerzimmer im oberen Stock zu sehen ist. Fünf Damen in zum Teil üppigen Halskrausen nehmen ein Gastmahl ein, gestikulieren und halten plötzlich, bedeutungsschwangere Posen einnehmend, inne, werden zum Gemälde. Auf verblüffende Weise oszilliert dieses Video zwischen Bewegung und Stille, zwischen Historie und Gegenwart.

Die ultimative Lösung aller Fragezeichen beim Anblick dieser Arbeiten bietet Simon Kindles «Kunstgriff». Mit einem Gehstock kann man durch die Ausstellung spazieren und jedes Mal, wenn man ein bisschen Druck auf den Griff ausübt, gibt der Stock höchstpersönlich einen kunstkritischen Kommentar von sich, etwa: «diesem Werk haftet ein Beuys-Muff an», er ist fies dieser Stock, hintersinnig, subversiv, manipuliert die Rezeption und setzt gleichzeitig Fragen nach einer zeitgemässen Kunstkritik in Gang.

Man darf nicht alle der ausgestellten Arbeiten in einen Topf schmeissen. Es hat solche, die tatsächlich im Bereich Kunst abgeschlossen haben und solche, die sich während ihres Studiums auf die Kunstvermittlung konzentrierten, sprich vor allem andere, vermittlungsorientierte Projekte (wie beispielsweise die «studentenfutter»-Führungen im Kunstmuseum) realisierten und so den Fokus natürlich nicht hauptsächlich auf das Produzieren von Kunst legen konnten. Schade, dass aus den Beschilderungen nicht ersichtlich wird, welche Studierenden, welchen Schwerpunkt setzten.

Hinzu kommt das modulare Bologna-Korsettsystem, das angehenden Kunstschaffenden nicht unbedingt viel Freiraum lässt, um ausgiebig eigene Erkundungen zu unternehmen, herauszufinden, welche Ausdrucksformen einem liegen, profunde, eigensinnige Zugänge zu entwickeln. Etwas sehr plakativ, vereinfachend und überspitzt ausgedrückt können die Arbeiten der Werkschau 09 als Spiegel des neuen Systems gelesen werden.

Noch bis 7. Juni im Südpol Luzern, täglich 11 bis 20 Uhr.