Panorama der Innovation

Ja, es ist verkürzend, die Kunst-Werkschau (Panorama des Scheiterns, Anfang Juni im Südpol) der Design-Werkschau an der HSLU im Sentimatt direkt gegenüberzustellen (Hohe Kunst hat schliesslich nichts mit den Niederungen des Kunsthandwerks zu tun, oder? Der Mensch macht sich’s leicht, er denkt bipolar). Ich tu’s trotzdem und konstatiere: die diesjährige Design-Werkschau bietet einmal mehr inspirierende Einblicke in die Ideenschmieden der Bereiche Textildesign, Illustration, Graphic Design, Video, Animation (und Design Management). Besonders hoch schlägt das Herz unsereins in textilen Gefilden auf der troisième étage, wo es vor Stofflichkeit knistert. Kein Wunder, schliesslich hängt das Textile (von lat. textere: weben, ein bisschen Schullatein liegt noch drin) unmittelbar mit dem Text zusammen. Q.e.d.

(Von Andrea Portmann)

Doch genug der gefiederten Worte. Nein, eigentlich nicht. Bevor sich nämlich nun vor den Augen der ehrenwerten Leserinnen eine Bildgalerie, gleichsam eines kostbaren Teppichs ausbreitet, seien noch einige mehr oder weniger geistreiche Kommentare und Gedankenblitze angebracht, die der Besucherin in Anbetracht dieser Fülle an kreativem Ausfluss durch den Kopf geschwirrt sind und nun ihrer Niederschrift harren. Randnotiz 1: Die Gedanken bewegen sich vom dritten Stock direkt ins Erdgeschoss. Randnotiz 2: Dies tut der Qualität derselben keinerlei Abbruch.

1) Gedanken beim Gang durch die Ausstellung des Fachbereichs «Textildesign» mit offenen Sinnen und wachem Geist (3. Stock)

* Schön zu sehen, wie sich Theorie und Praxis hier die Hand reichen: an einem Ort wird der Geschichte des Tischgedecks nachgegangen (früher hat man das schmutzige Messer ganz am Tischtuch abgestreift, so einfach war das) und gleichzeitig eine wundervolle Tischtuchkollektion mit Vogelstickereien und handgezeichneten farbigen Blumen präsentiert («Shine and dine», Nina Müller). Andernorts wird der (Zier)Funktion und vor allem auch den erotischen Implikationen der Schleife in der Geschichte der Mode nachgegangen und in der Praxis wird die Schleife in einer Kleiderkollektion auf verspielte Weise durchdekliniert, verfremdet, abstrahiert... («endlosSchleife», Janina Ammon)

* Überraschend, welch verästelte Wege im textilen Bereich eingeschlagen werden. Da hängt ein stofflicher mit grafischen Mustern bedruckter Paravant, auf dem durch weitere Muster-Projektionen kaleidoskopartige Überlagerungen entstehen («Lumilayers», Julia Sager). Textiles wird zu einem raum- und ambienteschaffenden Element. Andernorts werden ebenfalls Entgrenzungen zwischen Architektur und Textilem erprobt: ganz hinten im Raum sitzt ein Stuhl, den man sich ankleiden kann («How to wear a chair», Antonia Erni)

* Taktil: Die zahlreichen Logbücher, in denen  sich die Entwicklungsprozesse bis hin zu einer gereiften Kollektion sinnlich nachvollziehen lassen: Experimentieren, Suchen, Entwerfen, Verwerfen...

* Die Farbkombinationen, Strukturen, Texturen, Muster, Materialitäten regen den Geist an, bringen Ideen für die Gestaltung der eigenen Hüllen.

* Tolle Mise-en-scène, wobei man hier oftmals sagen kann: weniger ist oft mehr. Manch eine Arbeit, die dezenter präsentiert wird, ist inhaltlich überzeugender.

 

2) Gedanken beim sinnierenden Gang durch die Ausstellung der Abschlussarbeiten «Graphic Design»und "Illustration" (2. Stock)

Bemerkung: Der Geist und die Sinne sind schon etwas benebelt ob den mannigfaltigen Reizen. Dementsprechend konzentriert sich die Wahrnehmung auf einzelne, wenige Augenfänger die ihre Aufmerksamkeit besonders erregen.

* Georges Perec! Einer der fantasiereichsten und verspieltesten Spurenleger unter den Literaten der Oulipo! Im Bereich des Graphic Designs findet sich ein äusserst vielschichtiges, reich mit intertextuellen Verweisen und Kommentaren gespicktes Lesebuch zu Perecs Roman «Das Leben. Gebrauchsanweisung» – eine geistreiche Alternative zu «Get-Abstract» und eine Hymne an das labyrinthische Denken. (Abschlussarbeit von Ursula Blättler)

* Tulpen! Ich habe mich schon manchmal beim Kaufen eines festlichen Bouquets bei Floradissimo, «Blumen schenken macht schön» und anderen floralen Geschäften gefragt, warum das Papier, in dem die Blumen zu liegen kommen, so überkandidelt bünzlig aussieht. Julia Schmidt aus der Graphic Design Klasse hat fünf bezaubernde Blumenpapiere für Frühlingsblumen entwickelt. Die Vorderseite ist überzogen mit schnittigen Mustern, auf der Hinterseite findet man Wissenswertes zur jeweiligen Blumensorte, in diesem Falle der TULIPA.

* Gear Transmission Ratio!? Stimmenfragmente, Monotonie, Streicher, fluktuierende rhythmische Strukturen, «different trains» von Steve Reich übersetzt in graphische Spuren, suchend, sich vertiefende Intensitäten, unzensiert, vibrierend, écriture automatique, (Abschlussarbeit von Ray Hegelbach).

* Käfer ganz nah! Echte unter dem Mikroskop, täuschend echte auf Papier. Das nennt sich "Illustration non fiction" (unter anderem wissenschaftliche Illustrationen) und grenzt sich von den fiktionalen Illustrationen ab. Diese hier sind von Matteo Hofer.

 

3) Gedanken beim spienzelnden Gang durch die Ausstellung des Fachbereichs «Video» (1. Stock)

Bemerkung: die Augäpfel drücken unangenehm.

* «E Göderwage in Albanie» (o-Ton David Röthlisberger). Sein Film «Export Orange» erzählt von der Reise eines alten Kehrrichtwagens nach Albanien.

* «ESC 5’38»: Im übertragenen Sinn ist dieser Film so, als würde jemand mit seinen Nägeln so lange über eine Schieferplatte kratzen, bis die Nägel abbrechen und Blut aus den Fingern tropft. (Film von Stefan Gallego).

* «Die Andere Seite»: Nach dem Tod geht das Leben weiter (Dokumentarfilm von Kevin Graber) drei Männer berichten von ihren Beweisen.

* Allgemeine Tendenz im Video- (von lat. ich sehe) Bereich: Das Fremde (im Eigenen), das komplett Andere, sprich, das Leben nach dem Tod, wahnähnliche Grenzerfahrungen, Auf-den-Kopf-stellen unserer Wahrnehmung >>> Die Decke ist am Boden und der Boden ist oben oder so ähnlich («Herr der Lage» von Antshi von Moos).

 

4) Gedanken beim frei flottierenden Gang durch die Ausstellung des Fachbereichs «Animation»(Erdgeschoss)

Bemerkung: Habe ich vergessen.

* Rabenschwarz: Der Zeichentrickfilm «Little Eden» von Nino Christen. Ich zitiere den Inhalt der Beschriftung seiner Arbeit: «Das tragische Schicksal eines Schrebergärtners, der in seinem scheinbar geregelten Leben, durch einen unerwünschten Gast die Kontrolle über sich und schlussendlich sein Leben verliert.»

* Aufschlussreich: die Modelle, Skizzen, Puppen, Studien zu den einzelnen Animationsfilmen.

* Nostalgisch: Die alten Schulpulte im Filmvorführungszimmer.

 

5) Gedanken beim Nichtgang durch die Ausstellung des Fachbereichs «Design Management» (Erdgeschoss)

* Da muss ich leider passen. Management ist mir suspekt.

>>> Werkschau 09 noch bis Sonntag, 21. Juni, jeweils von 11 bis 21 Uhr, Hochschule Design und Kunst Luzern, Sentimatt , Dammstrasse 1