Oh down the river we go

Spielt sich das nun in seinem Kopf ab? War es des Protagonisten subjektive Wahrnehmung einer Ereigniskette? Oder war alles ganz anders? «Stromabwärts» des Mainzer Dramatikers Benedikt Bernhard Haubrich ist ein irrer Trip durch das Unterbewusstsein eines von Schlaflosigkeit und Selbstzweifeln geplagten Mannes. Die Uraufführung im UG des Luzerner Theaters am Sonntagabend war – endlich mal wieder – ein verstörendes, beunruhigendes und darüber hinaus grossartiges Theatererlebnis.
 
(Bild: Ingo Höhn)

Das Stück dauerte knappe 80 Minuten. 80 Minuten, die den Besucher von Beginn weg rasch in den Bann zogen, die exakt im richtigen Moment vorbei waren. 80 Minuten mit wirklich guten bis hervorragenden schauspielerischen Leistungen. 80 Minuten, die es schafften, ein Gefühl einzupflanzen, das nachwirkte. Die Bühne ist für einmal längsweg angelegt. Eine U-Bahn-Station. An der hinteren Wand ein Bildschirm mit zur Stimmung des Stücks passenden verballhornten Werbungen (von Martin Baumgartner, der auch für die Musik / Geräusche verantwortlich zeichnet). In der Mitte auf Stühlen Bruno Bregazzi (Jürg Wisbach) und sein Begleiter / Couch Clos (Christian Baus). Ein hoher Schrei. Napoleon (Wiebke Kayser), ein Mädchen, das seine Mutter sucht, die in den Fluten des Flusses verloren ging, dem Bruno und Clos entlang ziehen. Wohin wollen die beiden? Das wissen sie selbst nicht recht. Bruno: Was, wenn der Weg für uns zu weit ist? Clos: Wir kommen an. Bruno: Aber wann? Clos: Was ist mit dir? Wir sind doch unterwegs. Bruno: Und ausserdem, was erwartet uns dort? Clos: Was schon.

Die vage Ahnung / Hoffnung, dass da am Ende des Flusses ein Delta sei, wo dieser ins Meer münde. Dort wollen sie eine Stadt bauen. Eine Stadt bloss aus Gold. Eine Stadt ohne Museen. Ohne Geschichte. (Was wie aus dem Futuristen-Pamphlet tönt.) Eine Stadt ohne Denkmäler. Eine Stadt, wo Bruno Tag für Tag in einem gigantischen Kolosseum boxen kann. Als lebende Legende. Bruno sorgt bereits jetzt als unbesiegter Boxer Station für Station für den Lebensunterhalt während der Reise. Doch ihn plagen Selbstzweifel und Schlaflosigkeit. Er gibt an, seit Jahren nicht geschlafen zu haben. Und die Freiheit ist halt auch nicht das, was man in sie projizierte. Sowieso: Nach dem Treffen mit Napoleon scheint Bruno ein anderer zu sein. Das Mädchen faszinierte ihn. «Ich hätte mich gern mit ihr geschlagen», bemerkt er an einer Stelle. Irgendwann taucht die Mutter (Marion Lindt) auf – darf natürlich nie fehlen in so 'nem Unterbewusstseins-Trip –, zusammen mit Brunos Schwester Marlene (ebenfalls Wiebke Kayser), mit der Clos anbandelt und schliesslich Bruno verlässt und die Reise beendet. Um dann später zurückgekrochen zu kommen und abgewiesen zu werden. Bruno bleibt bis kurz vor dem – versöhnlichen, sehr poetischen – Ende allein. Die zurückhaltende Inszenierung von Sara Barosco und Kathrin Schulzes schnörkellose Bühnengestaltung lassen dem Stück und den Worten, den Platz, den sie verdienen. Einzig geschrien wird ein bisschen viel. Und ja: Bei der Vergewaltigung einer Putzfrau werden zugleich einige Plattitüden breitgewalzt (von wegen «Us & Them» und Masken im Gesellschaftlichen Umgang und so). Gerne würde man wieder mehr solche grosse Würfe im UG sehen – wie einst die grandiosen «Gier», «Sagt Lila» oder «Sauerstoff» (u.a. mit Sam Pirelli). Werdet ruhig noch mutiger ...

Das Stück läuft noch bis zum 20. April. UG Luzerner Theater