* Objets trouvés *

«In dem Schimmer der Nachtlampe gewahrte er ein kleines, kaum spannlanges Ungeheuer, das auf seiner weissen Bettdecke sass und vor dem er sich im ersten Augenblick entsetzte, dann griff er aber mutig mit der Hand darnach, um sich zu überzeugen, ob seine Fantasie ihn nicht täusche. Doch sogleich war das kleine Ungeheuer spurlos verschwunden.»

(Von Andrea Portmann)

 

Es hüpfte auf direktem Wege von der weissen Bettdecke in den Südpol. Just ab diesem Zeitpunkte zeigte es sich jeweils am ersten Sonntage im Monat zusammen mit Gevatter Markt in einer verheissungsvollen Verschränkung namens Flohmarkt.

Schritt für Schritt die Treppen hinauf, vorbei an verquer ineinander verwachsenen, auswüchsig wachsenden nachtleuchtenden «glow in the dark»-Hybriden, zwischen Schaf und Ziege, Kuh und Huhn, aus deren Knochenenden Bluttropfen träufeln, rote Farbtropfen patschen. Nach dem letzten Schritt stehe ich in einer grossen lichtdurchfluteten Halle mit hölzernen Sitzgelegenheiten und lockendem Ausschank, da stehen Stände, mit allerlei Waren und Tand, Zählrahmen, ein hölzerner Textildruckrapport, Kostüme, Schächtelchen und Schachteln, funkelnde Broschen, fein drapierte Seidentücher, Filzhüte, Gesellschaftsspiele *Eile mit Weile*Mikado* Flohspiel*, die feilgeboten werden, Bücher auf einer Anrichte:

HG Wells «The Time Machine» (I stared for a minute at the Time Machine and put out my hand and touched the lever). Peter Weiss «der Schatten des Körpers des Kutschers» (Dieser taumelte zurück und gleichzeitig taumelten die Haushälterin und die Mutter aus der Garderobe heraus, über die Tür hinweg, in das Zimmer hinein), Fernando Pessoa «das Buch der Unruhe» (Eine Grabplatte her, um Gottes willen eine Grabplatte her!), Tieck «Der blonde Eckbert» (Ich musste spinnen, und ich begriff es nun auch bald, dabei hatte ich noch für den Hund und für den Vogel zu sorgen) und E.T.A. Hoffmann «Meister Floh» (Da flimmerte es aber wie Katzengold in den Augen des Weibes und es war, als leuchte die Nase höher auf in phosphorischem Glanz, vgl. «glow in the dark»).

«Macht Alles zusammen 5 Franken». (In diesem Moment ist mir Meister floh in die Halskrause gehupft.)

Hinein in den nächsten Raum, angenehm warm ist’s hier, ein geschäftiges Treiben, in der grossen Südpol- Halle (Länge: 24.15 m, Breite: 17.2 m, Höhe: 6.3 m/7.0 m inkl. Unterzüge, Grösse. 409 m2) – eine Wunderkammer voller Tische mit bunten Sachen. 

Dabei lässt sich hier erahnen, welche Gegenstände schon längst das Zeitliche gesegnet haben und gerade deshalb eine so faszinierende Anziehungskraft auf uns ausüben. Es ist die Erinnerung an eine längst vergangene, entrückte Zeit,  materialisiert in einem originalen Grammophon, dessen Nadel die Schallplatten zum Singen bringt In the Mood, einer Schreibmaschine, an den Unterricht von früher gemahnend zu Marschmusik und einer leicht lispelnden Frauenstimme und jetzt lll und fff und dann Leertaste Leertaste.

Oder einem 80-jährigen Telefon «mit dem können sie garantiert kostenfrei telefonieren, nicht so wie mit den heutigen Händys, sie brauchen einfach noch ein zweites und müssen dann ein Kabel ziehen», grinst der bärtige Herr aus dem verwunschenen Wald. Einen interessanten Tisch hat der Herr, eine Wurst sticht ins Auge, eine gewundene, dünne Wurst – das Plattencover von Edibär und sini Züriseemusikante, wie wohl der Fleischchäspolka klingt? 

Zum grössten Erstaunen sah man auf einer Tischplatte von dem schönsten, weissen, glänzendpolierten Marmor Flöhe, welche kleine Kanonen, Pulverkarren, Rüstwagen zogen, andere sprangen daneben her mit Flinten im Arm, Patronentaschen auf dem Rücken, Säbeln an der Seite. Auf das Kommandowort des Künstlers führten sie die schwierigsten Evolutionen aus, und alles schien lustiger und lebendiger als bei den wirklichen grossen Soldaten...

Eine Sense, zwei Meter hohe Orgelpfeifen aus einer Adligenswiler Kirche (hmm?), immer noch funktionstauglich und 20 Franken das Stück. «Können Sie auch als Sparkässeli benützen, hält lange, bietet sich gerade jetzt an». Passend dazu vom Tisch vis-à-vis Weisheit eines Spekulanten von André Kostolany.

All diese Gegenstände, ihre Bedeutungen, ihre Beschaffenheiten, Gerüche Vinylschallplatten, Lederhandtaschen ältlicher Damen, Holzschächtelchen, vergilbte Reclambüchlein, Strickpullover, Gameboys, Toaster, Coco-Jambo-CDs verknüpfen sich zu einem dichten Netz, zu einem fein gewobenen Teppich, auf dem man die Welt wieder abgebildet findet, die Welt von damals, die Welt von heute - das Bild der Frau: 

Rosaroter Buchdeckel, darauf Dumm und Dick mein langer Weg von Rosmarie Buri – aufschlussreich auch Weise Wunde Menstruation von Shuttle/Redgrove (soviel zum Thema Autorennamen),  daneben Gut Kochen nach Hausfrauenart. Total in Farbe der Sprung ins Bett und zur Truhe voller glitzerfunkelschimmernder Brautkleider (1050 Franken das Stück) ist da nicht weit, da freut sich auch der gelbe Grossschnabi Globi auf der Kassette in intimer Nähe. Ein paar Schritte weiter ein alter Babywagen voller Puppen lass sie tanzen und etwas weiter unten in der Kiste nackte vollbusige blonde Barbies die essen also keinen Butter. Schmusi Susi singt da in ekstatischer Freude der Spitzbube Chris Christiansen (Plattencover vom Tisch nebenan).

«Er erwachte halb aus der Betäubung und – gewahrte den Meister Floh, der in seiner mikroskopischen Gestalt, jedoch in den schönsten faltenreichen Talar gehüllt, eine hochauflodernde Fackel in den Vorderpfötchen haltend, emsig und geschäftig in dem Zimmer auf und nieder hüpfte und dabei feine gellende Töne ausstiess.»

I Believe in Miracles ....