This is NUTS!

UG Luzerner Theater, 21.11.2015: «Wer wagt, durch das Reich der Träume zu schreiten, gelangt zur Wahrheit», schrieb einst E.T.A. Hoffmann. Diesen Weg gehen die Protagonisten Klara und Fritz in der Wiederaufnahme des Tanzes NUTS! am Luzerner Theater. Wirklichkeit und Illusion vermischen sich in einem vielseitigen und undurchschaubaren Stück.

Um Verwirrungen zu vermeiden, muss vorab ein mögliches Missverständnis geklärt werden: NUTS! ist keine Adaption des originalen Nussknacker-Balletts, sondern dessen Fortsetzung. An der Uraufführung in Sankt Petersburg im Jahre 1892 wurden die Hauptrollen, die Kinder Klara und Fritz, von Studenten der Sankt Petersburger Ballettschule getanzt. Was damals bemängelt wurde, macht der Regisseur Kinsun Chan zum zentralen Thema, denn dieses Stück dreht sich um die Frage: Was ist aus den jungen Tänzern geworden?

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Bereits der Beginn der Vorstellung ist ungewöhnlich, denn sie startet in der Bar. Unter die Besucher gemischt umarmen sich die Tänzer und wünschen sich viel Erfolg. Eine Szene, die dem Publikum normalerweise verwehrt bleibt. Selbst die Barkeeper entpuppen sich als Tänzer.  Das Publikum wird in das Stück – das sich zu Beginn mehr als Schauspiel manifestiert – miteinbezogen. Auf youtube hätte man sogar zwei einfache Choreografien selbst erlernen und mittanzen können, was aufgrund des mangelnden Platzes jedoch absolut unmöglich war. Trotzdem wird das Gefühl, Teil des Stückes zu sein, sehr real. Ein besonderes Erlebnis! Fritz und Klara, die früheren Ballettstars, sind zu traurigen Gestalten geworden. Er torkelt als Kellner in der Bar umher und sie sitzt ihre Stunden betrunken an der Theke ab. Das selbstgeleitete Theater und die Bar gehören ihrem Onkel Drosselmeyer, der als geheimnisvolle, dunkle Gestalt auftritt. Klara hält als Platzanweiserin ein Schild in die Höhe und verkündet mit demotivierter Stimme, dass die Vorstellung beginnt. Der Schauplatz wechselt von der Bar auf die Bühne. Durch ein Traumland schreitend durchleben die Geschwister hier die Erinnerungen an eine glanzvolle Zeit, die bereits 15 oder 20 Jahre hinter ihnen liegt. Die Handlung des ursprünglichen Balletts vermischt sich mit der Realität. Die Geschwister schaffen es, durch die Erinnerung ihrem öden Alltag zu entfliehen und wieder glückliche, tänzerische Momente zu erleben. Klara durchläuft eine gewaltige Entwicklung: Aus der kaputten, depressiven Frau wird dank Styling und neuer Motivation wieder eine schöne Tänzerin. Onkel Drosselmeyer hilft ihr dabei, Stück für Stück einen roten Nussknacker zusammenzusetzten, den sie zum Schluss glücklich in der Hand hält. Um die Handlung nachvollziehen zu können, ist es unentbehrlich, die Stückbeschreibung zu lesen. Doch auch diese hilft nur ansatzweise, denn die Traumwelt der Geschwister ist so absurd dargestellt, dass die Aussage einiger Szenen nur erahnt werden kann.  So zum Beispiel Klaras Begegnung mit dem Burka-wesen: Aus einer Person in einer Burka werden plötzlich fünf, die sich bis auf die Augen kaum bewegen. Als durch den schwarzen Stoff plötzlich zwei halbnackte Frauen kriechen und am Boden tanzen, ist die Verwirrung perfekt. Repräsentiert das Wesen Klaras Angst vor sich selbst? Oder eine Gesellschaft, die sie in den Ruin getrieben hat? Alle möglichen Interpretationsansätze scheinen aufgrund Klaras neugieriger Haltung in dieser Szene irgendwie falsch.

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Zum Glück ist Verständnis nicht der Schlüssel zum Genuss dieses Stücks. Es ist explosiv, witzig und überrascht das Publikum mit jeder Szene neu. Besonders viele Lacher erzeugte Klaras Styling, das von zwei sehr femininen Männern in High Heels – die mit ihrem Hüftschwung fast allen Frauen die Show stehlen würden - durchgeführt wurde. Ein Genuss war auch die Musik von Pjotr I. Tschaikowski, die von Daniel Steffen arrangiert wurde. Die Stücke wurden elektronisch verändert, was zum modernen Tanz durchaus passte. Kinsun Chans Choreografie war modern und – wie der Rest des Stückes – immer wieder überraschend. Trotz einiger Momente von mangelnder Synchronizität zeigten die Tänzer in allen verschiedenen Stilrichtungen Glanzleistungen. Davidson Farias begeisterte in der Rolle von Onkel Drosselmeyer durch mystisches Auftreten und tänzerischen Ausdruck. Schauspielerisch sehr überzeugend war Rachel Lawrence in der anspruchsvollen Rolle der Klara. Das Bühnenbild war kunstvoll und doch schlicht, es stahl den Tänzern nie die Show. Nur am Schluss wurde es weihnachtlich, Tannenbäume schmückten die Bühne und Schnee rieselte von der Decke. Und auch draussen machte sich die Winterstimmung breit. Nach einer Stunde und zehn Minuten ist das Spektakel leider schon vorbei, das Publikum applaudiert begeistert. Gerne hätte man das Ensemble noch länger genossen.

Die Vorstellungen laufen noch bis am 22. Dezember 2015, jeweils um 20.00 Uhr im UG des Luzerner Theaters.