Now the Summer is gone (...) All ablaze with clear Light

Unter dem Titel «Klänge des Lichts» waren gestern, 9. September, Werke von Kaija Saariaho, Tristan Murail und Bruno Mantovani zu hören. Im Gespräch mit Liselotte Frei gab Kaija Saariaho (Bild), eine der diesjährigen «Composer in Residence» am Lucerne Festival, auch Einblicke in ihr Schaffen.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich mag keine Einführungen. Zwar ist diese Einstellung so oberflächlich wie grob verallgemeinernd und in Anbetracht einer Tätigkeit als Musikberichterstatterin alles andere als löblich. Aber die gesammelte Erfahrung sämtlicher Theater- und Konzerteinführungen, die ich in meinem jungen Leben je besuchen durfte, legen diesen Schluss umso näher: An Einführungen tummeln sich für gewöhnlich im Publikum kulturbeflissene Streber und auf der Bühne leider allzu oft Schwätzer, die irgendwas mit Kultur studiert haben und langatmig ihre geballte Gescheitheit kundtun. Doch wann bietet sich schon Gelegenheit, eine Komponistin wie Kaija Saariaho über ihre Werke sprechen hören? Ich ging also dennoch hin und wurde nicht enttäuscht – weder in meinen Vorurteilen noch von Kaija Saariaho. Diese wehrte sich im Gespräch mit Liselotte Frei entschlossen gegen jede Verallgemeinerung und Simplifizierung und gab doch einen sehr nachvollziehbaren Einblick in ihre Vorstellungen. Das Ärgerliche an vielen Einführungen – das Abdriften in die Meta-Meta-Meta-Ebene – blieb denn auch aus: Saariaho ging es offensichtlich einzig um die Musik allein.

B e i m  H ö r e n  b e s t e h e n Denn ganz gleich, welche geometrischen, stochastischen und kosmischen Proportionen einer Musik zugrunde liegen, ganz gleich ob sich der Komponist mit vedischer Philosophie, afrikanischen Polyrhythmen oder nordischen Sagen auseinandersetzte: Die Musik muss auch ohne dieses Wissen geniessbar sein, sie muss beim Hören bestehen können. Und das tat sie.

Saariaho schrieb das Orchesterwerk «Nymphéa Reflection» im Jahr 2001. Das Stück entwickelte sich aus der Idee, das 1987 für Streichquartett und Elektronik geschriebene «Nymphéa» für grosses Streichorchester ohne Elektronik umzuschreiben. Entstanden ist dann jedoch ein völlig Neues Stück, konzipiert in sechs Teilen. Trotz der verschiedenen Charaktere der Teile wirkt das Stück als ein grosses Ganzes, das sich stetig zu bewegen scheint. Viele Effekte sind leicht versetzt durchs ganze Orchester komponiert. So entsteht das Bild einer wogenden, einmal schillernden, dann wieder aufgewühlten Oberfläche. Saariaho liess sich bei «Nymphéa» (Seerose) von der symmetrischen Form der auf dem Wasser schwimmenden und zugleich in der Erde verwurzelten Blume inspirieren, aber auch von der verschwommenen Farbenpracht von Chlaude Monets späten Seerosenstudien. Dazu kamen im sechsten und letzten Satz noch die flüsternden Stimmen der MusikerInnen: Wie ein Windhauch streifte das Gedicht von Arseni Tarkovsky, in die zig Muttersprachen der Spieler übertragen, durch das Orchester. Now the Summer is gone And might never have been. In the sunshine it’s warm, But there has to be more. It all came to pass, All fell into my hands Like a five-petalled leaf, But there has to be more. Nothing evil was lost, Nothing good was in vain, All ablaze with clear light But there has to be more. (...) Kaija Saariaho machte in Paris Bekanntschaft mit der Spektralisten-Schule, zu deren prominenten Vertretern der Komponist Tristan Murail gehört, und wurde stark von ihr beeinflusst. Gleichwohl legt sie grossen Wert darauf, nicht als Spektralistin bezeichnet zu werden; ihre Musik ist nicht nach diesen strengen Regeln komponiert. Insofern war das Programm sehr schlüssig gestaltet, indem es «Serendib» von Tristan Murail vor das Werk von Saariaho in Bezug dazu stellte. Am Spiel der Studenten der Festival Academy gab es nichts auszusetzen. Dass der erste Teil des Konzerts etwas unterkühlt wirkte, mag an der Raumakustik des Luzerner Saals liegen, die nicht für ein unverstärktes Ensemble und schon gar nicht für ein Streichorchester gemacht ist.

G e g e n s a t z  u n d  H ö h e p u n k t Umso heftiger wurde das Eis dann im zweiten Teil gebrochen, wo «le sette chiese» des französischen Komponisten Bruno Mantovani gespielt wurde. Inspiriert haben Mantovani die «sieben Kirchen» von Bologna. Jeder dieser Kirchen ist ein Stück gewidmet. Dabei berücksichtigt die Komposition deren Architektur, aber auch deren unterschiedliche religiöse Funktionen und schafft so ein Werk von unglaublicher Dichte und Schönheit. Ganz anders als im ersten Teil, wo fast impressionistische Klang-Flächen vorherrschten, entstehen hier Kanten, Formen, Gebäude. Archaische Momente mit viel Perkussion, Trommeln und Blechbläsern kehren immer wieder.

Durch die spezielle Aufstellung (Mantovani teilte das Ensemble in vier Gruppen, sh. Bild) wurden zudem Echo-Effekte und räumliche Wanderung eines Motivs erfahrbar. Die berückende Schönheit und Klarheit dieser Musik und das präzise und intensive Spiel des Ensembles unter der Leitung von Jean Deroyer machten «le sette chiese» zum Höhepunkt und zugleich zum bewegenden Abschluss dieses Abends.

Das Konzert und das Gespräch mit Kaija Saariaho wurde aufgezeichnet und ist am 30. September um 22.30 auf DRS2 zu hören.