NOW 15 oder wie man Kunstessenz filtert

12.11.2015, Nidwaldner Museum, Winkelriedhaus: Zwei Kantone, zwei Ausstellungen. NOW14 und NOW15 sind das Konstrukt eines zweistufigen Verfahrens für eine essenzielle Jahresausstellung der beiden Kantone Obwalden und Nidwalden. Was das Filtersystem herauskristallisiert hat, zeigt die Finalistenschau im Winkelriedhaus in Stans.

NOW14, die sogenannte Übersichtsausstellung Obwaldner und Nidwaldner Kunst, fand ihren Abschluss in der Auswahlausstellung NOW15. Ursprünglich 76 Kunstschaffende haben 2014 den Sprung in die NOW14 (damals im Talmuseum Engelberg und im Herrenhaus in Grafenort) geschafft, woraus eine fünfköpfige Jury folgende 19 Künstlerinnen und Künstler auswählte, die an der NOW 15 in Nidwalden ausstellen können: Jo Achermann, Judith Albert, Renata Bünter, Rolf Flüeler, Corina Flühmann, Roland Heini, Moritz Hossli, Christian Kathriner, Paul Lussi, Rochus Lussi, Charlie Lutz, Corinne Odermatt, Heidi Odermatt, René Odermatt, Celia Sidler und Nathalie Sidler, Pat Treyer, Philipp Wyrsch, Anita Zumbühl und Anna-Sabina Zürrer. Die 19 Künstlerinnen und Künstler mit Bürgerort, Wohnsitz, Arbeitsort oder sonstiger direkter Verbindung zu den Kantonen NW und OW zeigen in der Gruppenausstellung ein breites Spektrum an künstlerischen Sparten wie Fotografie, Malerei, Skulptur und Installation, welche nicht thematisch zu einander in Beziehung stehen. Eine Auswahl wird hier vorgestellt:

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Zwei grossformatige Malereien von Pat Treyer (*1956) ziehen im pavillonartigen Neubau des Winkelriedhauses in Stans die Aufmerksamkeit auf sich. Das Werk mit dem Titel Frau mit Tulpen zeigt eine stehende, nackte Frau, die mit einem Strauss Tulpen ihre Scham bedeckt. Ihr kräftiger Körper und wild-rotes Haar kontrastieren zu den dürren, kraftlosen Armen und den leeren schwarzen Augen. Eine Brust ist blau, die Frau wirkt kränklich, verletzlich, schuldlos. Die zweite Malerei ohne Titel stellt als Pendant eine liegende Frau dar, mit überproportional grossen Hüften und ähnlich dünnen Armen, die vor dem Körper ineinander verschmelzen. Sie ist kahlköpfig und hat dieselben entleerten Punktaugen. Die Bildsprache und Hängungsart stellt die beiden Malereien direkt mit einander in Beziehung. Sie werden von den Farben Rot und Schwarz dominiert und wirken durch den pastösen Farbauftrag sehr energetisch. „Ihr (Pat Treyers) eigener Körper, dessen Wahrnehmung und ihre Weiblichkeit werden nicht nur im Prozess der Herstellung eines Bildes wichtig, sondern sind ebenso zentrale Bildinhalte“, steht in der informativen und prägnant geschriebenen Werkliste der Ausstellung. Automatisch stellt sich die Frage, weshalb sie ihren Körper auf diese beunruhigende Weise wahrnimmt. Die Bilder faszinieren durch eine hohe symbolische Dichte und einen grossen Interpretationsspielraum. Sie rufen ein bedrückendes Gefühl von Kränklichkeit hervor, dem auch die eigentlich lebensbejahenden Symbole, wie rote Haare und Tulpen, nichts entgegenheben können.

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Direkt davor befindet sich eine etwas unscheinbare fotografische Arbeit in einer Glasvitrine. Dunkle, verwaschene Fotografien, bestickt mit einer goldenen Schrift, erinnern zuerst an abstrahierte Heiligenbilder. Tatsächlich aber hat das Werk mit dem Titel DEVIL HE SENT THE RAIN einen historischen Hintergrund: In einem vom Hurricane verwüsteten Haus in New Orleans fand die Künstlerin Corinne Odermatt (*1985) ein überflutetes Fotoalbum, welches die Grundlage dieses Werkes bildet. Bestickt sind die Fotografien mit dem Text eines Bluessongs über die Mississippi-Flut. Die ursprüngliche Intention der Fotografie, Momente naturgetreu nachzubilden, ist durch die Verwischung unmöglich geworden. Die Bilder erzählen nun nicht mehr die Geschichte der abgebildeten Personen, sondern jene einer Naturkatastrophe. Die 20-teilige Arbeit wirkt auf den zweiten Blick besonders attraktiv, sobald man sich mit der Herstellungsgeschichte auseinandersetzt und den tragischen Wert der kunstvoll und poetisch aufgearbeiteten Relikte erkennt.

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Im hinteren Ecken des Pavillons befindet sich Anita Zumbühls (*1975) Werk mit dem Namen What I want/What I need/What I get. Es besteht aus zwei Skulpturen und einer Textilarbeit: An einem Schwemmholz wurde mit künstlichen und organischen Materialien ein kitschfarbiger Moosbewuchs nachgebildet. Der zweite Teil ist eine Hand aus Gips, welche von Flechten und Rinden durchstochen wird. Sie sieht etwas verwahrlost aus, es fehlen ihr gar einige Finger. Platziert ist die Skulptur auf einem Tisch mit einer Oberfläche, welche einen direkten farblichen Bezug zum Moosbewuchs des Schwemmholzes und dem handgefärbten Leintuch an der Wand hat. Das Werk handelt von der Beziehung zwischen Mensch und Natur. Die verwachsene Hand erinnert daran, dass der Mensch vergänglich ist und nach dem Tod wieder Eins wird mit der Natur. Etwas unklar bleibt der Bezug des Titels auf die Arbeit. Ganz eine schlichte Arbeit, die leicht zu übersehen beim Eingangsportal zum Museumsareal montiert ist. Der diesjährige Gewinner des Unterwaldner Kunstpreises ist Christian Kathriner (*1974) mit seiner installativen Arbeit NOVA EVROPA. Die kleinen Lettern – mit römisch anmutenden Serifen versehen und in Bronze gegossen – markieren eine Grenz- und Schwellensituation und spielen mit der Unterteilung von „Innen“ und „Aussen“ des Nidwaldnermuseums. Beim Verlassen des Museums fällt der vom Eingangsportal gerahmte Blick in die neue, europäische Welt. In Tat und Wahrheit sieht man eine Fachwerkscheune, eine Brachwiese, einen Betonvorsatz und bisweilen Baumaschinen und Lastkraftfahrzeuge. De facto nichts, was einem an einer rationalen Utopie von NOVA EVROPA an erster Stelle einfallen würde. Christian Kathriners Arbeit verfolgt vielmehr einen ideologisch und philosophisch Ansatz und regt in Zeiten der Europakriese mit der akuten Flüchtlingsthematik zum Denken an.

Die Ausstellung NOW15 ist noch bis zum 17. Januar 2016 geöffnet. Winkelriedhaus, Engelbergstr. 54a, 6370 Stans Mi – Fr 14 – 17 Uhr, Sa + So 11 – 17 Uhr (geschlossen: 1. Januar / Schmutziger Donnerstag / 25. + 26. Dezember) 

Ausstellungsansichten aus dem Pavillon-Neubau

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