Muet, Härz & Hirni und aber auch heissi Luft & Biiswind

Somewhere over the Zwischenbühne, 17.12.11.: Ursula Hildebrand inszeniert den Kinderstückklassiker «De Zauberer vo Oz» in einer neuen, eigenständigen Fassung. Es geht um Schein und Sein und den wahren Wert der Freundschaft. Sehenswertes, das Freude macht.

(Bilder: Marco Sieber)

Der inzwischen wohl berühmteste Oktavsprung der Popgeschichte kommt auch vor, aber nur gepfiffen: «Some–where over the rainbow...» würde es im Text heissen. Der ganze Text des Stücks (Christoph Fellmann) ist allerdings nicht mehr derjenige von 1900, als L. Frank Baum seine Kindergeschichte veröffentlichte, die viele Fortsetzungen fand, Bühnenstück wurde, Musical, Film. Es ist Eigenes, das in der Zwischenbühne als Kinderstück Nummer 15 in der Horwer Theatergeschichte gegeben wird seit 1984. 1986 übrigens, als Nummer 3, gabs, die Älteren erinnern sich, bereits schon mal «Oz: das zauberhafte Land» in der mittlerweile 30-jährigen Zwischenbühne. Der Rahmen bleibt, der schöne Rest ist vielfach verändert und neu interpretiert. Die kleine Dorothy (Carmen Keiser) sieht sich durch einen Wirbelsturm urplötzlich ins Zauberland transferiert. Mit ihr ihr Plüschlöwe, der wundersamerweise lebendig wird und sprechen kann (Irene Wespi), fortan Leu geheissen, und erst noch dies ist: «de piinlechscht Leu uf dere Wält». Dies geschieht, nachdem ein Macker im Unterhemd und tiefergelegten Hosen (Marco Sieber) ein Lied angestimmt hat: «Come on baby, I’m telling you no lie/Together tonight, we’re gonna fly...» («The Air Is Hot»). Der Leu ist ein Schisshase auf der Suche nach Mut, Doro(thy) will eigentlich nur wieder heim, die von der Stange befreite Vogelscheuche (Eva Tresch) wünscht sich Grips im Hirni aus Stroh und der gstabige Blächmaa (Christoph Fellmann), eine Art Gary Glitter in Silber mit Rostansatz, hätte das Herz am rechten Fleck, wenn er denn eins hätte; also ist auch er auf der Suche, ein Herz eben soll es sein.

Die muntere Vierertruppe, so sich denn alle im Lauf des Abenteuers gefunden haben, geht ihren Weg in der Hoffnung, dass Oz ihnen ihre Wünsche erfüllen möge. Aber es lauert bekanntlich Ungemach im Zauberland, in Gestalt der drei schrill perückierten Hexen (Lea Huwyler, Claudia Schwingruber, Nadia Stalder). Sie reden in Zungen und in Reimen und sind direkt aus Shakespeares «Macbeth» entsprungen («When shall we three meet again...»). Von der optimistischen Vogelscheuche ist die kaiserliche Sentenz zu hören: «Luegemer mol, de gsähmers de.» Das Märchenhafte ist dort brutalomässig, wo Oz, bzw. seine Stimme, verlangt, dass sie zur Erlangung ihrer Wünsche lediglich die drei Hexen abzumurksen haben. Wird es Mord und Totschlag geben? Ist das grünlich leuchtende Smaragdschloss des Zauberers am Ende vielleicht gar keins? Knapp selber am Tod vorbei gehts für das Quartett bei der Konfrontation mit den drei fleischfressenden Killersalatköpfen. Ist aber vielleicht emänd alles nur Luft und Biiswind? Diese eine Frage soll hier schon mal eine Antwort finden, wie im Stück: Das schöne Wort «prätentiös» bedeutet im Fall «gschwolle». Am Ende wird abgerechnet. Es ist Showtime, aber nicht Showdown. Es geschieht versöhnlich im herzergreifenden Schlusschor: «...Und mer hed Fründ, wil Muet, Härz und Verstand/eim mängisch auch verlönd/Wenn eim Wirbelstürm de Chopf um d’Ohre schlönd.» Der Ballon ist parat – ab nach Hause. Gespielt wird in einem raffiniert mobilen Bühnenbild aus Kuben und Quadern (Phil Peter, Viktor Diethelm). Für atmosphärische Sounds und Liedbegleitung sorgt im Off die Band mit Urs Emmenegger, Orpheo Carcano und Jonathan Casu. Das tönt jetzt nicht besonders originell, ist aber wirklich wahr: Dieser Horwer «Oz» ist fürwahr zauberhaft. Die  Moral von der Geschicht: Glaube allen Blendern nicht. Vor allem, wenn sie ein weisses Unterhemd tragen und gfürchig mit verfremdeter Stimme durch ein Mikrofon sprechen. Es ist eine Absage ans herkömmlich-handelsübliche Mut-, Herz- und Verstand-Verständnis. Eben: «Am meischte» von alledem «bruuchsch für das ganz normale Züügs». Einen Zauberer brauchst du dazu keinen.

De Zauberer vo Oz; Regie: Ursula Hildebrand; Zwischenbühne Horw, bis 14. Januar, ab 5 Jahren