Money makes my World go round

Gestern Nacht spielten die Lovebugs in einer doch recht gut besuchten, aber bei weitem nicht ausverkauften Schüür. Als Support agierten The Rambling Wheels aus Neuenburg. Die kritische Bilanz ist mehr als durchzogen...

Ort: Schüür, Luzern. Zeit: 21 Uhr. Stimmung: Bei der Vorband gleich null, kommt später jedoch noch auf. Leute: Überragend bieder. Haben ihre besten Jahre bereits hinter - oder noch vor sich. Dazwischen nicht viel. Ich stelle an der Bar eine rege Nachfrage nach Cüpli, Panaché und Ohrenschützern fest.

Vorspann

Schüür-Eintrittskassenkomplikationen-Running-Gag:

Warum geschehen die eigentlich bloss immer in der Schüür und sonst nirgends? Anyway. War diesmal zumindest auf der Gästeliste. Die lächelnde Dame wollte jedoch noch einen amtlichen Ausweis sehen. WTF! Hatte Ziggy Stardust etwa einen amtlichen Ausweis? Der bürokratische Wahn unserer Zeit scheint sich bereits bis zur Schüür hindurchgefressen zu haben. Ich weise einen Ausdruck des Akkreditierungsmails vor, sie fragt mich nach meinem bürgerlichen Namen, ich antworte irgendwas, das mit F beginnt und auf -uber endet, dann ist die erste Hürde überstanden.

Sie waren mein erstes Mal. Mein erstes richtiges Konzert. Mit 11 Jahren im 2000. Jahr nach Christi Geburt. Im Zuger Musikschuppen Galvanik. Die Lovebugs. Ich hing mit den Bandmitgliedern Backstage rum. Im Fernsehen lief ein Match des FC Basel. Toursupport waren die hiesigen Mothers Pride, die momentan ja wieder am comebacken sind. Ob sie im Galvanik auch mit von Partie waren, hab ich vergessen. Viel hat sich verändert in all den Jahren. Sieht man auch am Eintrittspreis, der von CHF 25 auf CHF 40 anstieg, was u.a. auch eine Erklärung fürs vorhandene Publikum ist.

Es hat ja schwer was, wenn sich eine Pop-Band nach einem Englischen Slang-Wort für Schamläuse benennt. Doch seit Baschi – nein Kinder, NICHT der von Music-Star, der an jedem Cervelat-Promi-Cüplianlass von der Partie ist – als letztes irgendwie subversives Element um sich selbst treu zu bleiben das Handtuch geworfen und die Band den frischen Sound der Alben «Fluff», «Tart», «Lovebugs», meinetwegen auch noch von «Transatlantic Flight» hinter sich gelassen und Musik, die jeweils drei Jahre früher in England angesagt war, zu machen begonnen hat, ist es einfach nicht mehr dasselbe.

21:00

Die Rambling Wheels - man glaubt es kaum - beginnen pünktlich um exakt 21:00 mit ihrem Set. Nie gehört, den Namen? Muss man auch nicht.

21:10

Ist mir ein Rätsel wie diese Band zu ihrem Lovebugs-Support-Mandat gekommen ist. Auf die eine Art erklärt das trotzdem so Einiges. Dieses uninspirierte Indie-Rock-Pop-Gedudel zieht an einem vorbei wie ein lauer Furz. Der Sänger hat null Charisma und die Vokuhila (inkl. Porno-Schnauzer) des Bassisten geht ja wohl gar nicht.

21:20

Der Homer Simpson in meinem Kopf schreit: «Booooring!» Ich erinnere mich an eine Episode der Simpsons in der Homer Gastrokritiker wurde und den Anfeindungen seiner Herren Kollegen ausgesetzt war, da er stets zu gut bewertete. Dies kann mir seit heute Abend sicher nicht mehr passieren. Und ihr wollt tatsächlich noch CDs verkaufen nach dem Konzert?

21:30

Ich weiss, ich hab ihn bereits einmal gebracht. Ja, er ist geklaut. Trotzdem: Nach einer weiteren Stunde schaue ich auf die Uhr. Es sind 10 Minuten verstrichen. Ok. Sie sind ja motiviert, geben sich Mühe. Der letzte Song hebt das Ganze auch noch ein wenig. Ein wenig. Abermals Merchandise-Werbung. Ich bin grad beschäftigt ein Bier zu bestellen, deshalb krieg ich den Kontext nicht mit. Der Satz des Abends lautet jedoch eindeutig: «There you can download free songs for free.»

21:37

Verhaltener Applaus. Die Band verlässt die Bühne.

22:00

Es wird dunkel in Konzertsaal. Klänge wandern von der schwarzen Bühne. Die Lovebugs beginnen ihr Konzert mit einem Instrumental. Der Sänger sieht unverschämt gut aus, trotz seinem gebleichten Haar. Man kann ja von der Band halten was man will. Live bringen sie's auf jeden Fall, sind extrem spielfreudig und wirken auf dem Boden geblieben. Trotzdem fragt man sich gelegentlich, wie spontan die ganze Show ist.

22:15

«Wir sind Lovebugs aus Basel und spielen erst mal n paar Songs von unserer neuen Platte, wenn das recht ist.» Die Menge johlt und applaudiert. 21st Century Man.

22:30

Erstmals wedelnde Arme in der Luft. Ein Massenphänomen, stets ein Zeichen des kulturellen Verfalls. Mir kommt der Gedanke, dass dieses Publikum diese Band gar nicht verdient. Es folgt der erst grosse Hit des Abends, das auf jeglichen Schweizer Radiostationen rauf und runter gedudelte «The Key». Alles was recht ist. Man kann ihnen einfach nicht böse sein, sie gehen so sympathisch ab zu diesem Kitsch. Wann bringen sie endlich etwas aus den guten, alten Tagen, als sie sich noch nicht an die Gefälligkeit des Biedermann'schen Musikgeschmacks prostituiert haben? Sowas wie «Psychoday» oder «Slumber». Schon gut, wir haben alle eine Familie zu Hause, die wir ernähren müssen.

22:35

Immerhin: «Rise up / Size up» vom Durchbruch-Album «Transatlantic Flight». Sie gehen zum ersten Mal so richtig ab. Man wird nostalgisch, hört wie gut sie früher mal waren. «Der nächste Song stammt aus einer Zeit als wir noch jung und punkig waren.» Yeah. Fucking beautiful, äh brilliant! Was kommt wohl jetzt? «Music makes my world go round» von «Awaydays», dem ersten Album, auf dem sich die Band verkauft hat. Ich geh mal davon aus, dass Frontmann Adrian die Intelligenz besitzt, die Ironie seiner Ansage zu raffen, bevor er sie artikuliert.

22:45

Das Publikum fährt auf den neuen Scheiss ab. Soll es. Die Lightshow jedoch ist einsame Klasse. Blitzlicht und Strobogewitter. That's Rock'n'Roll, dudes.

22:50

«Wer den nächsten Song kennt, erhält von mir 100 Punkte. Das ist das Maximum.» Die Band beginnt. Collide? Nein. Doch? Nein? Doch! Nein! Enthält bloss exakt die selben Harmonien. Eine Band die sich selbst plagiiert. Wie geil ist das denn?

22:56

Sie spielen endlich das lang ersehnte «Avalon». Die weibliche Hälfte des Publikums schmilzt dahin, auch ein teil der männlichen. Im nächsten Song hör ich bloss «I can't take it anymore...» heraus. Ich auch nicht mehr. Langsam herrscht eine aufgeheizte Stimmung wie in einer Aprés-Ski-Hütte. Von den Anwesenden her könnte es hinkommen. Jemand ruft mich an. Sie ist im Treibhaus. Should I stay or should I go? Ich entscheide mich gegen besseres Wissen und für meine Professionalität zu bleiben.

23:00

Die Band verlässt fürs erste die Bühne.

23:01

Adrian kehrt solo zurück. Mit einem Stage-Piano, auf dem ein Lampenschirm steht und spielt die Kult-Ballade «Angel Heart» vom Album «Lovebugs». Das Bleiben hat sich also gelohnt. Ich erinnere mich, wie die Band schon vor gut 10 Jahren diesen Song als Zugabe brachte. Damals wurde die Bühne mit roten, herzförmigen Ballonen geflutet, die alsbald mit den Füssen zertreten wurden. Great! «Unglaublich wie fit du bist Luzern, für das, dass gestern noch Fasnacht war.» War gestern nicht Aschermittwoch? Weiss nicht mehr. Es folgen noch «Bitter Moon», «Under my Skin», «Everybody knows I love you». Die Band verlässt die Bühne abermals.

23:32

Eine letzte Zugabe («Pop till you drop») und ein würdiger Abgang, nach einer langen und soliden Show. Zu sehen, was eine Band dieses (Bühnen-)Potentials zur Zeit musikalisch werkelt, hinterlässt einen etwas bitteren Nachgschmack.