Modernes und Langeweile

Neubad, Luzern, 27./28.04.2018: Das Studio für Zeitgenössische Musik der HSLU lädt zum jährlichen Festival «Wege der Wahrnehmung». An zwei Abenden sollen die jungen Digital Natives den Altmeistern der Moderne entgegengestellt werden. Hier eine Auswahl aus Gutem, Quälendem, und Unterhaltsamen. Zwei Abende in drei Teilen.

 

Der Flyer strotzt vor Hashtags. «Wege der Wahrnehmung», ein Festival der HSLU im Pool des Neubads. Thema und Titel: «Kontakte». Eine junge, von sozialen Medien geprägte Generation von Komponisten soll den Altmeistern der Moderne gegenübergestellt werden. Yay, modern. #dies #das #aufeinanderknallend

Ich frage mich, ob irgendjemand ausserhalb von Instagram und Twitter überhaupt Hashtags ohne Ironie verwendet.

Nicht abschrecken lassen. Hingehen, die Welle hinuntergleiten, einen Platz finden, was nicht allzu schwer scheint, hinsetzen, zuhören.

 

Óscar Escuderos [Custom #3] (Big data)
Facebook, Klavier (Leonhard Dering), Violoncello (Luca De Falco) - Escuderos [Custom #3] (Big data)

 

Abend 1, Teil 1 – #dieJungen

Es wird eröffnet mit Óscar Escuderos «[Custom #3] (Big data)». Ein schlichtes Bild auf der Bühne: Violoncello, Klavier, Leinwand. Es werden Szenen abgespielt, Facebookwände, Profilbilder, Interfaces, Bilder der Musiker auf der Bühne zu einem früheren Zeitpunkt. Die beiden Musiker spielen, schlagen, reissen, und kratzen zum Film. Oder ist es gerade umgekehrt? Sind es die Bilder, die sich den Musikern anpassen? Es ist mal hektisch, mal ruhiger. Reizüberflutung versinnbildlicht.

Überraschend stürmt am Ende Escudero selbst auf die Bühne, um die Beiden zu umarmen. Toller Start!

 

Kurze Pause zum Umbau. Der Leiter des Festivals, Erik Borgir, hält zur Überbrückung eine Rede, die etwas improvisiert wirkt. Zur künstlichen Verlängerung zwingt er noch Escudero zu sich. Es geht um die Unmittelbarkeit, die Diesseitigkeit der modernen Musik. Interessant. Weiter gehts.

 

Das zweite Stück von Brigitta Muntendorf. Wieder eine Leinwand, aber dreimal soviel Musiker und Musikerinnen auf der Bühne. Wieder Filme. Diesmal irgendwie manischer, bedrohlicher. Nackte Oberkörper, von riesigen Fingern überschattet, Masken, verschwommene Gesichter. Die Kopfbilder können einem nicht genommen werden, heisst es gross auf der Wand. Und tatsächlich bringt die Soundkulisse, gemischt mit den Bildern, zumindest mich dazu, die Lücken im Gehörten und Gesehenen füllen zu wollen. Die Musik ist der Soundtrack. Zerhackt, wirr, zuckend und sich windend. Vor allem die Sängerin (Daniela Argentino), vermag mit ihrem Singen, Keuchen, Jauchzen, und Sprechen in den Bann zu ziehen.

 

Pause. Tolle erste Hälfte.

 

Abend 1, Teil 2 – Altmeister der Abschweifungen

Irgendjemand raunt zu irgendjemand anderem: «The teachers are coming back!» OK, Pause vorbei.

Ah, das titelgebende Stück «Kontakte» von Karlheinz Stockhausen. Zwei auf der Bühne. Eine Pianistin und ein Schlagzeuger mit diversen Zusätzen. Glocken, Becken, Windspiel, Gongs. Sie spielen mal miteinander, mal gegeneinander, mal getrennt mal zusammen. Fast schon Call and Response. Ein Klimpern hier, ein Schlagen dort. Ein Reiben hier, ein Schütteln dort. Aha, die suchen sich.

...

...

Uh, das dauert aber jetzt schon ganz schön.

...

Okay, das kommt mir jetzt so vor, wie wenn mich jemand immer und immer wieder volllabert: Ich kann nicht mehr zuhören.

...

Oh nein, das altbekannte Neubad-Pool-Sitz-Problem macht sich bemerkbar. Sobald man sich einmal bewegt hat, wird man es nie mehr bequem haben.

...

Jetzt bin ich daran mich zu winden. Die meisten Leute im Publikum scheinen konzentriert.

Die Pianistin und der Schlagzeuger laufen plötzlich in die Mitte zu den beiden Gongs. Zeitgleich schlagen sie zu. Wow, wenigstens ein elegantes Ende.

Was machen die da? Die gehen nochmal zurück?

...

Aber irgendwann ist es vorbei. Ich muss zumindest den Kraftakt der Beiden auf der Bühne bewundern.

 

Kontakte
Frustriende Kontaktversuche - Mein Untergang (v.l.: Huang Yu-Ting, Corentin Marillier)

 

Es folgt noch ein Stück. «Ein Hauch von Unzeit» von Klaus Huber. Der ganze Pool wird abgedunkelt. Auf der Bühne nur eine Pianistin, von einem Lämpchen beleuchtet. Die restlichen Musikerinnen und Musiker sind verteilt. Das Vibraphon erklingt oben am Beckenrand, die Flöte bei der Rutschbahn, das Akkordeon auf der Treppe, und irgendwo hinten die Gitarre.

Eine beeindruckende Soundkulisse breitet sich über das Publikum. Wow, richtig schön. Wie ein Waldspaziergang. Aber auch ein Waldspaziergang wird zu einem Albtraum, wenn man den Weg hinaus nicht mehr findet. So wird nach der vorherigen Tortur auch dieses Stück, vielleicht unverdient schnell, schal. Die erste Neuartigkeit der Klänge verschwindet, und ich langweile mich.

Die Lämpchen der Musiker gehen aus, das Licht im Pool an.

 

Ich taumle nach draussen, fühle mich wie verkatert.

 

Abend 2, Teil 1 und 2 – Ein roter Faden

Knapp 24 Stunden später sitze ich wieder auf der Welle im Pool, gezeichnet vom Abschluss des letzten Abends. Es sind deutlich mehr Menschen anwesend.

Vielleicht liegt der Grund dafür darin, dass neben den Studierenden der HSLU auch ein rennomierter Schauspieler auf der Bühne steht. Zusammen mit Graham F. Valentine wurde ein Programm zusammengestellt, wobei von Valentine gewünscht wurde, dass es Dinge sind, die er so noch nie gemacht hat. Gleichzeitig wird auch ein roter Faden versprochen, dem man vielleicht folgen könne. Das stimmt mich schon mal optimistischer.

Und tatsächlich lässt sich aus den vier folgenden Stücken eine Story konstruieren, oder zumindest erahnen. Es geht um einen Tod und seine Konsequenzen. Es fühlt sich an, wie ein wirres Hörspiel, in dem Valentine andeutet, und die Musikerinnen und Musiker genauso andeutend spielen. Das erste Stück ist rastlos, treibend. Paranoid? «She has been running. What for?» Eine Frage im Zentrum des Stücks.

 

GrahamValentine
Graham F. Valentine beschwört Unheimliches.

 

Darauf folgt ein beeindruckendes Drum-Solo. Wie in einem Käfig bewegt sich dabei der Drummer (Corentin Marillier) im vollgepackten Drumset. Er spielt mit dem Vibraphon, reibt mit einem Bogen die Becken, erschafft schaurig-schöne Klänge, versenkt einen Gong im Wasser. Es fühlt sich tatsächlich nach den titelgebenden «Badlands» an. Es ist derselbe Drummer, der an meinem persönlichen Untergang gestern beteiligt war, aber so ist ihm alles verziehen.

Badlands
Der Schlagzeuger (Corentin Marillier) in den Badlands.

 

In weiteren Stücken wird Valentines Stimme geloopt, immer wieder abgespielt, er heult und singt dabei, liest einen Text von Anna Kavan. Die Spieler und Spielerinnen pusten in ihre Instrumente, imitieren Elefanten, werfen Gegenstände ins Piano. Es ist ein stimmiges Zusammenspiel.

Den Abschluss macht Heiner Goebbels Stück «That Corpse». Ein Stück so eingängig, klar, und nachvollziehbar, dass es kaum reinpasst. Das könnte auch eine Musicalnummer in einem Burton-Film sein. Es gefällt.

 

So endet auch dieses Konzert. Aber war da nicht noch etwas mit Moderne, Hashtags, Altmeistern und Aufprall oder so? Das ist völlig untergegangen. Generell scheint diese Idee des Aufprall und des Kontaktes eher ein vages Konzept des ersten Abends gewesen zu sein, nur um Tags darauf etwas anderem zu weichen, was viel spannender ist. Mir ist das recht.