Metzgete mit Pelz, Puccini und Protest

Kleintheater Luzern, 18.10.2017: Das Theater Mimito präsentiert mit «Fleisch – ein Melodarm» sein jüngstes Stück zum Thema – äh: Fleisch. Plus was der Mensch damit zu tun hat, mit welchen fragwürdigen Mitteln Fleisch hergestellt wird und wie es den Tieren ergeht. Sie rächen sich mit dramatischen Mitteln. Ein alles in allem amüsanter Denkanstoss. Wohl bekomm’s!

Am Anfang anschwellende Klaviertöne, aus denen sich das Motiv der Arie «Nessun dorma» aus Puccinis Oper «Turandot» (3. Akt, 1. Szene) heraushören lässt. Gemäss Recherchen von kulturteil.ch (bzw. einfach den Komponisten gefragt) sind da bis zu  20 Spuren übereinandergeschichtet. Dies nach längerer Stille mit einem nackten Frauenkörper auf der Bühne. Es wird bald laut und turbulent, gefeiert, gesungen («Macht» – «Machete», «Das ist unser Haus», «Fuck the system»).  «Der Schlachthof gehört zum repressiven System.»

Was tut sich da wo von wem? Es sind vier Figuren in einem stillgelegten Schlachthof. Protestler, die den verlassenen Ort besetzt haben. Zwischennutzung. Hinten hängt ein aufgespannter Pelzmantel im Bühnenhimmel. Eine Art Kleiderschrank dient für verschiedenes, multifunktional also, eine blaue Schnapstonne, Kühlbox, Flokati-Sessel. Es verweist, zusammen mit den Kostümen, auf die 1970er-Jahre, An der Tonne klebt, nicht für alle im Publikum sichtbar, das berühmte RAF-Fahndungsplakat.* Überhaupt RAF: Das Wording der deutschen Terrortruppe ist im Stücktext von Christov Rolla vernehmbar.

Wie ist das mit dem Fleisch auf der Welt? Das Stück begibt sich in die Sphäre des Infotainment und löst die Vermittlungsfrage mit dem Quiz «Trivial Pursuit» («Nutrition Edition»). Ausbeutung, industrielles Massaker an Tieren. Ein Elend, gegen das es aufzubegehren gilt. Zwischen die Haupthandlung mit den vier Schlachthof-Besetzer*innen sind immer wieder bio-psychogrammatische Monologe im Spot-Licht eingeblendet.

Es folgt eine schleichende Eskalation. Und eine Metamorphose. Schritt für Schritt, buchstäblich, denn mit den Füssen fängt es an, mutieren die Menschen zu Tieren. Die Konstellation kommt uns irgendwie bekannt vor, ein Esel mit Konservendosen-Hufen, ein Hund mit Handtaschenschädel, eine Katze mit Scherenfingern, ein Güggel mit Hinterngefieder – genau: Es sind die Bremer Stadmusikanten, die etwas Besseres als den Tod überall zu finden glauben auf ihrer Massaker-Rache-Mission.

Nachdem der Wachmann im Kühlraum kannibalisiert wurde (die Leber war nicht so lecker) geht es draussen der Welt an den Kragen. Man sieht es freilich nicht, aber die Meldungen aus dem Radio und dem TV im Off sprechen eine deutliche Sprache. Reihenweises Gemetzel.

«Fleisch – ein Melodarm» zeigt sich als dichte, anspielungsreiche, denkanstössige gut eineinhalb Theaterstunden mit einem gern verdrängten Themenkomplex, nachhaltig nachhallend, originell inszeniert in ebenso origineller Ausstattung, gespielt in lauten und leisen Tönen, in brüllend-grotesker Komik wie in verhaltenen Momenten. Die Musik nicht zu vergessen (noch vergessen: das pfiffige pseudo-jiddische Fleischwaren-Liedl), die den Bogen spannt vom eröffnenden Klaviersound bis zum finalen gesungenen «Nessun dorma!».

*Welche Koinzidenz mit dem Premierendatum, ein Fall von kalendarischer Zufälligkeit: Die Tage vom 18. und 19. Oktober 1977 zählen zu den dramatischsten im sogenannten Deutschen Herbst. Dazu gehören die Stürmung der zwecks Freipressung der RAF-Inhaftieren entführten Lufthansa-Maschine «Landshut», die Todesnacht von Stammheim, in der Baader, Ensslin und Raspe starben und schliesslich der Fund der Leiche des entführten Hanns Martin Schleyer.

Theater Mimito: Fleisch. Ein Melodarm
Regie: Ursula Hildebrand
Spiel: Claudia Berg, Melinda Giger, Sylvie Kohler, Christov Rolla
Konzept: Ursula Hildebrand/Mimito
Text/Musik: Christov Rolla
Ausstattung: Nina Steinemann
Licht & Ton: Stefan Schaueburg, Timo Keller
Produktionsleitung: Annette von Goumoëns

Weitere Vorstellungen im Kleintheater: Fr/Sa, 20./21. Oktober, 20 Uhr

www.theater-mimito.ch

Bild: Ingo Höhn/PD