Meine intimen Geschichten mögen alle, auch im Sedel

Musikzentrum Sedel, 15.11./16.11.2013: Zum 11. Mal fanden die MIGMA Performance Tage statt. Ein Augenschein lohnte sich!

(Von Lorenz Hegi / Fotos: Judith Huber)

Was die Lokalität versprach, hielt sie auch. Das Musikzentrum Sedel bietet mit seinen diversen Räumlichkeiten genug verschiedene Schauplätze und Möglichkeiten, performative Darbietungen zu zelebrieren. Und diese wurde auch ausgenutzt, wenn auch nicht bis zum Exzess. So wäre eine Arbeit in einer der zahlreichen Musikzellen durchaus auch denkbar und wünschenswert gewesen. Allerdings sind diese ja zu genüge besetzt, von dem her wäre das auch irgendwo unnötig gewesen. So haben am Samstagabend zwei Performances in den langen Gängen des Gebäudes stattgefunden, eine weitere im Aussenbereich und die zwei letzten im Klub. Den Anfang des Abends gestaltete Mischa Käser mit seinen „vokalpoetischen Äusserungen“ unter dem passenden Titel „Lava“. Erwartet wurde das Publikum am Ende des rechten Ganges im zweiten Stock von einem gefassten und konzentrierten Blick Käsers – etwas dramatisch in Szene gesetzt mit einem einzigen Scheinwerfer – welcher kurz nach Eintreffen der ca. 30 Zuhörer sogleich mit einer „Rede für M“ begann, bei der er ein Grossteil seines Vokabulars vorführte. „Lava“ – flüssig, beweglich, erhitzt und noch lange nicht erstarrt, so wirkte auch die spannende Ausdrucks- und Präsentationsweise von Käser. Die insgesamt neun Stücke, die je ca. 3 Minuten dauerten, setzten unterschiedliche Akzente und Mischa Käser zog zeitweise ein Psalterium, eine Handtrommel, ein Schubladophon, eine Melodica und ein Würfelbecher zur Unterstützung herbei. Im Stück „Liedergut“ erzählte Käser fiktiv eine Geschichte aus einem Buch und in „Von A nach Z“ wirkten seine Laute teilweise wie die eines Sprachkünstler (der er ja ist), der einen Animationsfilm live zu vertonen versucht. Ein weiteres Stück war gemäss Titel eine Hommage an die russische Dichterin und Schriftstellerin Marina Zwetajewa. Seine Äusserungen erinnerten oft an den Klang nordischer Sprachen und bald fand man ihn singend, erklärend oder anklagend vor sich und er erzählte oder berichtete von einer Welt, die man sich nur vorstellen konnte. Dabei wirkten die einzelnen Stücke belustigend, aber auch verstörend, wie das zuletzt vorgetragene mit dem Titel „Allegro ma troppo, Andante sostenuto“. Die Zuhörer lauschten gespannt und aufmerksam und wirkten schliesslich doch erheitert. Weiter ging es mit der Arbeit von Elda Treyer. Bevor die Besucherinnen und Besucher sich, über die Feuertreppe auf der Ostseite des Gebäudes steigend, im Gang des ersten Stockes wiederfanden, mussten sie allerdings zu zweit oder alleine einen 50 Liter fassenden Sack mit Erde hinaufschleppen. Dort vorbereitet lagen schon einige dieser Säcke auf dem Boden verteilt. Die von den Besuchern hinauf getragenen Säcke wurden dem Gang entlang weiter hinzugefügt. So lagen schliesslich ca. 30 Säcke mit Erde da. Am Ende des Ganges stand ein riesiger Gong und davor die in weiss gekleidete Elda Treyer, die sogleich geschickt mit einem Messer die Säcke aufzuschlitzen begann. In einem Fluss vollzog sie diese Handlung und leerte anschliessend die Säcke auf dem Boden aus, so dass sich eine kleine Hügellandschaft bildete. Ein erster Gongschlag ertönte, gefolgt von weiteren intensiveren Schlägen, die den ganzen Gang regelrecht mit fühlbaren akustischen Wellen füllten, die Wände erzitterten. Begleitet von weiteren, sanfteren Schlägen, nun ausgeführt von einem in schwarz gekleideten Mann, rollte sich Treyer quer über die Erdhügelkette bis ans andere Ende des Ganges, wo sie begann weisse Eier aus einem Kessel auf die Erdhügelspitzen zu setzen. Wieder zurück beim Gong beschloss sie die Performance mit einem letzten kräftigen Gongschlag und ging entschlossenen Schrittes in Richtung Ausgang, zur Feuertreppe. Eine rätselhafte Arbeit, die aber Verbindungen zur landwirtschaftlichen Kultivierung, die bekanntlich auch in unmittelbarer Nähe zum Sedel betrieben wird und häufig in Erzählungen über den Sedel eine Anmerkung finden, erkennen liess. Zudem ist „Energiepotential“ ein weiterer Begriff, der sich den Besuchern, durch die gewählten Materialien und die Entscheidung, die Performance im ersten Stockwerk zu machen, assoziativ eröffnet.

Elda Treyer

Vor dem Sedel, auf einem kleinen Hügel, stand nun Hina Strüver mit einem sehr sonderbaren Kostüm da: ein Plastikgewand umschloss die Performerin fast komplett, zudem sind fünf unterschiedlich grosse Ballone in das Gewand eingearbeitet. Mehrere Schläuche sind um die ganze Figur herumgewickelt und münden in verschiedenen Ventil ähnlichen Pfeifen. Die Schläuche sind in ein Netz eingespannt, das einem Gitterskelett eines riesigen Hornes entsprach. Strüver begann auf Blasbalgen herumzutreten, die die Ballone in ihrem Gewand mit Luft füllten, welche sie anschliessend wieder über die Schläuche aus den Ballonen hinauspresste und somit ein leises und feines Pfeifkonzert veranstaltete. Begleitet wurde der Geräuschefluss von einem kommentarhaften Muhen einer Kuh im benachbarten Stall. Eine witzige Gestalt stellte Strüver dar, die sich mit einem etwas widernatürlichen Outfit in Szene setzte und somit ein Artefakt blieb.

Hina Strüver

Anschliessend begaben sich die Zuschauer wieder in den Klubraum, um sich an der Bar ein Getränk und eine Pause zu gönnen. Denn es warteten noch zwei Brocken. Das Splätterlitheater – bekannt für Puppentheater für erwachsenen Kinder – beehrte das Publikum mit einer unterhaltsamen Lesung, in welcher der Kasperli lediglich am Anfang einen kleinen Auftritt hatte, nur um sogleich vom «Chnurri Hund» aufgefressen und erst am Ende des Stücks wieder befreit zu werden. Auch der versprochene Liter Theaterblut, der anscheinend sonst in jeder Aufführung vergossen und verspritzt wird, stand nur drohend, aber unberührt auf dem Tisch (es wäre der Parodie vielleicht auch zuviel, (oder zuwenig?) gewesen, an einem Performance Festival Kunstblut zu verspritzen). So sind die leeren Ränge direkt vor der Bühne schliesslich grundlos nicht besetzt worden. Allerdings geizten die drei Lesenden – Patric Gehrig, Nina Steinemann und Jürg Plüss – in ihrer Geschichte nicht mit Splatter würdigem Programm. So bildete das genüsslich zelebrierte Foltern, Peinigen und schliesslich Schlachten einer Figur einen Höhepunkt des Stückes. In der Geschichte ausgeführt vom „Schlachter Seppli“, in diesem Fall gesungen von Patric Gehrig. Die Geschichte, voll gespickt mit witzigen Details, spielte sich in und um Luzern ab, in bekannten Lokalitäten, wie dem Treibhaus, dem Kleintheater oder auf der Museggmauer und wurde rund um Figuren wie Tom Hengscht, Tavlo oder Meridiana erzählt. Es fehlte nicht an Parodie und auch Seitenhiebe wurden in alle Richtungen verteilt – beispielsweise mussten sich Performance Künstlerinnen und Künstler in Selbstironie üben – und schliesslich wurde Luzern vor dem Untergang bewahrt, allerdings wurde der gefrorene Rotsee, mitsamt allen sich vergnügenden Menschen auf dem Eis, gesprengt. Das Publikum dankte der Darbietung mit einem verdienten Applaus, obwohl es nicht gerade das humorvollste Publikum war und die doch schon etwas fortgeschrittene Zeit machte sich auch etwas in der allgemeinen Stimmung bemerkbar. Als Abschluss folgte eine Arbeit, welche die Migma Performance Tage mit B-Sides und OFF Südpol zusammen organisierten und präsentierten. Nämlich ein Konzert der Workshopteilnehmer vom Samstagnachmittag, die zusammen mit dem niederländischen Yuri Landman Do-It-Yourself Home Swinger erstellten (selbstgebastelte E-Gitarren) und diese nun zeigten und testeten. Leider leerte sich der Klub schon vor dem Konzert etwas, trotzdem bildete die Aufführung einen wuchtigen, lauten und guten Abschluss eines Performance Abends, der schliesslich vor allem durch akustische Ereignisse überzeugte. Mit Landman zusammen standen 12 Personen auf der Bühne, zwei davon hinter je einem Drumset, die anderen verteilt auf verschiedene Home Swingers, weitere elektronische Geräte und auch eine normale E-Gitarre und einen E-Bass. Gemeinsam wurden zwei Stücke vorgetragen, das erste ca. 10-15 Minuten, das zweite dann doch fast 30 Minuten, in welchen Yuri Landman als Dirigent des Ensembles, aber auch als Instrumentalist agierte. Der Sedel Klub wurde also für rund 45 Minuten vor und in eine Sound Wand gestellt, aufgebaut durch mehrschichtige Home Swinger Gitarren Parts und treibende Drums. Vor allem das zweite Stück erinnerte an härtere Mogwai Stücke, wenn auch natürlich nicht so ausgeklügelt und versiert – es handelt sich ja um das Ergebnis eines Nachmittages – aber die Intensität konnte einem daran erinnern. Der ganze Auftritt der Gruppe weckte Bilder von wilden Formationen, wie es beispielsweise die Briten von Action Beat sind. Yuri Landman führte im Laufe des Konzertes zudem einen Prototypen des Moonlander vor, den er 2007 für Lee Ranaldo (Sonic Youth) erfand. Interessant zu beobachten war der Protagonist Landman auch, als er zu Beginn des ersten Stückes eine Saite bearbeitete, die er von der Bühne hin zum Metallgitter oberhalb der Sedel Bar spannte. Der daraus resultierende Klang erinnerte an das Schwingen eines Wellblechs und sah deshalb lustig aus, da man die Saite im schummrigen Licht gar nicht wahrnahm und so einen Yuri Landman wild in der Luft herumfuchteln sah. Die Workshopteilnehmenden ihrerseits hatten sichtlich Freude an ihrem Spiel und wechselten gegen Ende des zweiten Stücks von ihren Home Swinger auf handelsübliche E-Gitarren und E-Bass, so dass sie, so ist zu vermuten, mit ihrem gewohnten Instrumenten das Stück beschlossen. Die verblieben hartgesottenen Zuhörer haben sich in Ausdauer ausgezeichnet und dankten wiederum mit erfreutem Applaus. Zum Tanzen liess sich anschliessend allerdings niemand mehr hinreissen, auch wenn die B-Sides Trackselector Disco von TS Uas unverzüglich startete. So kann der Samstagabend der Migma Performance Tage als gelungen erachtete werden. Passend zum gewählten Austragungsort Sedel (der Veranstaltungsort wechselt mit jeder Austragung seit 2001 innerhalb der Stadt Luzern) waren die Höhepunkt akustischer Natur und mit dem abschliessenden Konzert kam auch noch ein wenig wilder Gitarren Groove auf, den man sonst von Veranstaltungen im Sedel kennt. Beachtung gehört auch dem Team und den Helfern von Migma und dem Sedel, rund um Rhea Julia Bucher, Beat Stalder und Isa Wiss, die für eine sorgfältige Organisation sorgten und für die Performances vor und nach den Performances zuständig waren. www.migma.ch Programm und detaillierte Angaben zu den KünstlerInnen.