LOGENPLATZ #1: INTRO

Psst - Ruhe auf den billigen Plätzen! Eine Kolumne über die Dialoge, die die Kinosessel aushalten müssen. Mal hier, mal dort, immer wieder aus einem anderen Kino. Kinosessel aller Welt, vereinigt euch und erzählt eure Geschichten.

(Von Gina Bucher)

Meist findet man den Richtigen im Dunkeln kaum – ihre Nummern sind zu klein, und ausserdem schlecht beleuchtet. «Welche Nummer hast du?» «Sieben, und du?» « ... -» «Ach nein, das ist die Reihe – Augenblick, die Nummer 9 habe ich.» «Komm, hier, ich habe sie gefunden.» Selten gibt es genug von ihnen, und wenn, dann ist draussen schönes Wetter. Wenn nicht, dann sitzt da bestimmt schon einer, der behauptet, eine Karte für den gleichen Platz zu besitzen. Die Missverständnisse sind meist unangenehm und werden geduckt ausdiskutiert, um nicht zum Spektakel der Zuschauer zu werden, die neugierig auf die Vorstellung warten. Entschuldigung hier, Entschuldigung dort, oh Pardon! Reihe 7, Platz Nr. 9 – Die Koordinaten, die die Kassiererin dem Zuschauer in die Hand drückt, leitet ihn mitten ins Geschehen. «Entschuldigung ... ähm ...» «Oh ...» «... Aua ... !» «Entschuldigung!» «Kann ich ... ?» «Danke.» Wer zu spät ist, muss eine ganze Reihe aufscheuchen, sich zu erheben. Reihe 7, Platz Nr. 9 – danke sehr. Geräuschvoll setzt sich die aufgeschreckte Reihe wieder, der Zuspätgekommene sitzt stumm da und wartet, bis sich die Aufregung gelegt hat. Dann erst wagt er langsam, ungeschickt nach links und rechts ausschlagend, sich aus den Schichten warmer Winterkleidung zu schälen. « ... echt, der hat sich Botox spritzen lassen?!» «Ja klar, wusstest du das nicht? Meinst du etwa, der hat ...» « ... sieben Tattoos ... ah ja, krass!» Hinter, neben und in den Reihen davor tuscheln, lachen und murmeln die Zuschauer. Die Braven verhalten sich leise und halten den Atem an, als der Film endlich beginnt. Die Frechen plappern wild drauflos und kommentieren den Film für ganze Reihen hemmungslos. «Psst - !» «Könnt ihr mal bitte?» «Ja, danke.» «Scht - der Film beginnt!» «Ja, ja ... ist ja gut» Nur schleppend legt sich Ruhe über das erwartungsvolle Publikum. Der Operateur dämpft langsam und unauffällig das Licht, bis der Vorspann des Films beginnt. Hundert fremde Menschen sitzen scheinbar plötzlich im Dunkeln. « .... unbequeme Sessel, haben die hier ...» «Findest du? Naja, du hast auch zu lange Beine, für einmal ein Vorteil für mich ...» «Haha ... können wir die Plätze tauschen? Dann kann ich meine Beine hier im Durchgang ausstrecken» «Psst!» Die Sessel sind selten bequem. Wohl mit flauschigem Plüsch überzogen, doch oft mit viel zu kurzen Rücklehnen, sperrigen Armlehnen oder muffigem Samt. In Openairkinos stehen gerne harte Holzsitze, in überfüllten Festivalkinos müssen oft Treppenstufen genügen. Wo mit dem Kopf hin, wohin mit den Beinen – der Arm berührt versehentlich den fremden Sitznachbar, der viel zu nahe sitzt. Innerhalb weniger Sekunden ist klar, ob man die kommenden 90 Minuten mit dem Platz Freund wird oder nicht. «Wusstest du, dass ihm einst ein Fitnessstudio gehörte?» «Ja klar – und vor allem, dass ihn Kim Basinger nicht küssen wollte, weil sie meinte, er schmecke wie ein Aschenbecher ....» «Psst! Könnt ihr nicht endlich still sein?!» So unterschiedlich die Kinosessel, ob aus weichem Plüsch, rotem Samt, Holz oder sterilem Plastik – sicher ist: nie ist man für ihn der Erste. Tagein, tagaus steht er da, wartet auf neue Besucher und ist stets grosszügig mit seiner Gastfreundschaft. Wohl kommen sie nicht seinetwegen, sondern wegen der Leinwand. Dort spielen sich die Dramen ab, hasten die Detektive drüber und lachen die Komödianten ihr Publikum an. Der Film beginnt, die Zuschauer sitzen mehr oder weniger bequem, halten sich am Sessel fest, die Arme haben sich ihren Platz links und rechts erkämpft. Die meisten vergessen jetzt den Sessel, ignorieren seine störrische Unbequemlichkeit. Nicht so die Sessel. Für sie beginnt jetzt die Show, die sie sich nicht nehmen lassen. Oft um einiges spannender als vorne auf der Leinwand, wird hier Basiswissen geflüstert, dort fachsimpeln Nerds und ganz hinten wird heimlich eine Liebesgeschichte begonnen. Später leise geweint, wild geknutscht und vorne kippt einer sein Bier über den Sessel. Nicht ohne lautstark zu fluchen.

Film ab - die Kolumne Logenplatz ab sofort regelmässig Mitte des Monats hier bei www.kulturteil.ch