#58 – Auserlesen 12/21

Für die 58. Literaturpause haben wir uns entschlossen, in älteren Ausgaben zu stöbern und daraus Texte, denen abermals Aufmerksamkeit gebührt, auszuwählen und erneut abzudrucken. Dieser Entscheid ist auch dadurch motiviert, in einem weiteren unbeständigen Jahr aus der Not eine Tugend zu machen. Die Zeit ist knapp, die Ressourcen ebenfalls – für Autor:innen, Journalist:innen, Redakteur:innen gleichermassen. Andererseits ist AUSERLESEN auch ein Plädoyer dafür, sich umzusehen, was schon «da» ist. Der Literaturbetrieb ist schnelllebi­ger denn je; was morgen erscheint, ist übermorgen bereits vergessen. Umso wichtiger ist es, den mit grossem Enga­gement und Zeitaufwand produzierten literarischen Texten Aufmerksamkeit zu schenken, sie zu lesen, erneut und abermals.

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EDITORIAL
März 03/2022

Liebe Leser:innen

Für die 58. Literaturpause haben wir uns entschlossen, in älteren Ausgaben zu stöbern und daraus Texte, denen abermals Aufmerksamkeit gebührt, auszuwählen und erneut abzudrucken. Dieser Entscheid ist auch dadurch motiviert, in einem weiteren unbeständigen Jahr aus der Not eine Tugend zu machen. Die Zeit ist knapp, die Ressourcen ebenfalls – für Autor:innen, Journalist:innen, Redakteur:innen gleichermassen. Andererseits ist AUSERLESEN auch ein Plädoyer dafür, sich umzusehen, was schon «da» ist. Der Literaturbetrieb ist schnelllebi­ger denn je; was morgen erscheint, ist übermorgen bereits vergessen. Umso wichtiger ist es, den mit grossem Enga­gement und Zeitaufwand produzierten literarischen Texten Aufmerksamkeit zu schenken, sie zu lesen, erneut und abermals.

Ich verwende hier mit Absicht die weibliche Form «Autorin», ohne Autoren ausklammern zu wollen. Trotz allen erfreulichen Tendenzen: Der Literaturbetrieb ist für Autorinnen immer noch ein anderer als für Autoren. Denken wir an den literarischen Kanon, an Sichtbarkeit, Relevanz, Anerkennung und Entlöhnung von Frauen im Literaturbetrieb oder denken wir an sexistisch anmu­tende Rezensionen, die sich über eine Inhaltsangabe im peinlichen Versuch erschöpfen, aus der Aufmachung einer Autorin irgendetwas über ihr Schreiben ablesen zu wollen. Oder denken wir an den durchaus despektier­lich gemeinten Begriff «Frauenliteratur».

In der vorliegenden Ausgabe sind sieben Texte von Autorinnen und zwei von Autoren wiederzuentdecken. Wenn man die Aufgabe annimmt, aus den vergangenen Ausgaben rund zehn besonders interessante Texte aus­zuwählen – ohne einen (im Übrigen stets verdächtigen) objektiven Qualitätsanspruch oder unter Auferlegung einer Diversitätsquote –, und sich dabei ein Verhältnis von sieben Autorinnen zu zwei Autoren ergibt, ist das nicht nur Anlass zu subjektiver Freude. Diese Tatsache gibt einem auch zu denken – etwa weshalb in solch nieder­schwelligen Literaturgefässen oder auch an Literatur­instituten sehr viel mehr Autorinnen vertreten sind, es jedoch sehr viel mehr Autoren sind, die Anerkennung und Renommee im etablierten Literaturbetrieb geniessen. Und nicht zuletzt stellt sich bei einer solch subjektiven Auswahl auch die Frage nach dem eigenen Lesen, ob es nicht doch häufig von Frauen geschriebene Texte sind, die Leserinnen besonders ansprechen. Obwohl hier das Phänomen eines spezifisch weiblichen Schreibens dezidiert verneint wird ...

«Es gibt kein weibliches Schreiben. Was sollte denn das Weibliche im weiblichen Schreiben sein? Ein Mythos, aufgebaut auf Unterschied, Spezifizität, dem weiblichen Körper/der weiblichen Natur? Weibliches Schreiben würde darauf hinauslaufen, dass Frauen nicht Teil der Literaturgeschichte sind.» (Monique Wittig, 1983)

... gilt eben auch:

«Literatur gleicht einem Spinnennetz, das, und sei es noch so lose, an allen vier Ecken mit dem Leben verknüpft ist.» Und diese Netze werden eben nicht «von körper­losen Wesen mitten in der Luft gewebt».

Was Virginia Woolf so treffend formulierte, gilt losgelöst von der jeweiligen Sprache, Geschlecht oder Herkunft des:der Autor:in und verweist darüber hinaus immer auch auf eine latent politische oder subversive Komponente von Literatur. Vielleicht sind es gerade diejenigen Texte, die es einem immer wieder besonders antun – jene, die von einem solchen Netz zeugen und dieses durch den spezifischen Blick eines gesellschaftlich gewachsenen Subjekts spür­, erlebbar, sichtbar machen – ob intendiert oder nicht. Aber lesen Sie selbst.

Anja Nora Schulthess


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Veröffentlichung
März 03/2022

Autor:innen
Martina Clavadetscher, Sabrina Fischer, Erich Hirtler, Judith Keller, Dragica Rajčić Holzner, Michelle Steinbeck, Niko Stoifberg, Christina Viragh, Annemarie von Matt, Ivna Žic

Redaktion
Anja Nora Schulthess, Robyn Muffler, Gianna Rovere

Korrektorat
Christine Meyer, CityTEXT GmbH

Gestaltung
Carla Crameri


Literaturpause #58 im März 03/2022

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