Lichterdom und Ohrensessel

Kleintheater, 19.2.2014: «Heterosexuelle Männer mit Damenhandtaschen machen die seltsamsten Sachen, während ihre Frauen sich frisch machen … – Es ist erniedrigend!» So beginnt er nach virtuosem Wolfsgeheul, der Abend «Volumen 8. Salon Hip Hop» der Berliner Weder-noch-oder-eben-beides-Musiker und Kabarettisten Pigor und Eichhorn im Kleintheater. Die beiden wilden Jungs räumen in ihrer Schweizer Programmpremiere gründlich auf mit der hauptstädtischen Midlife-Salongemütlichkeit – um gleich darauf wieder alles über den Haufen zu werfen.

«Eine Salon-Werkstatt des 21. Jahrhunderts, aber bloss nicht zu brainig» soll dieses achte Programm sein, man sei schliesslich kultivierter geworden. Das gilt den alten Hasen im Publikum, die sich gemächlich in Stimmung lachen, doch ich bin äusserst nervös und nahezu erregt, denn tatsächlich habe ich die beiden seit dem Start ihres ersten Programms anno 1995 stets verpasst. Und das bedaure ich nun von Minute zu Minute mehr. Die beiden fackeln nicht lange und springen gleich mitten hinein in einen typisch metropolitanen Tingeltangel, mit Liedern zur aktuellen Berliner Befindlichkeit und einer souverän disparaten Kabarettmoderation, irgendwo im weiten Feld zwischen Claire Waldoff und Dieter Hildebrandt. Die Mühlen mahlen anders in Berlin: Kosmopolitismus, Scheintoleranz und natürlich der Airport Willy Brandt – die Themen zünden auch beim Luzerner Publikum, was vor allem daran liegen mag, dass hier kein trainiertes Comedyprogramm abgespult wird, sondern dass sich vor allem eine wunderbar unterhaltende Personalsituation entfaltet: Man schaut und hört Pigor und Eichhorn einfach gerne dabei zu, wie sie das tun, was sie immer tun. Da fordern sie sich in einem selbstgesetzten Bildungsauftrag zu dreiminütigen Themenvorträgen auf, die vor allem uninteressant zu sein haben. Eichhorn wagt es zuerst, mit Wagner und seiner Bedeutung für irgendwas. Er rudert in pianistisch verwirrender Harmoniedidaktik Richtung Tristanakkord und Pigor bricht auf die Sekunde genau nach drei Minuten ab. Auftrag erfüllt, und die Zuschauer aufs köstlichste uninformiert. Später folgt noch (wobei ich dann mal tatsächlich etwas kapiert habe) eine Kurzeinführung in die Systematik der Doppelten Buchführung, ferner ein Esperantokurs und – wohl erstmals in der Theatergeschichte – ein «Power Nap» bei totaler Finsternis. Doch das Luzerner Publikum kann das dunkle Nichts nicht wirklich aushalten; man giggelt, hüstelt, pupselt, räuspelt und wird vor lauter Finsternis fast hysterisch. Nach einigen Gedanken an Bernhards Theatermacher und die vorschriftenbezogene Unmöglichkeit dieser Szene in Deutschland, zumindest in Utzbach bei Butzbach, nappe ich tatsächlich kurz ein … bis mich Kollege Hau zur Pausenzigarette weckt. Danach geht’s mit gelockerter Handbremse weiter; aus steuertechnischen Gründen wachsen Requisiten ins Programm, das dennoch ganz Liederabend bleibt. Sprechgesänge, kluge Worte über Banales, mal mit subtiler Komik, die erst später ganz erblüht, mal auch elegant flachgereimt und flüchtig wie ein brennendes Meerschweinchen. Thomas Pigor – hier fast rappend, dort fast in Max-Raabe-Manier, kurz brechtig mit einem Schuss Valentin, dann wieder kreislernd – beherrscht das ganze Instrumentarium des Zu-zweit-Unterhalters, der alleine auch vieles wäre, aber hier nichts ist ohne den so dezenten wie präsenten Pianisten an seiner Seite, der sich aufs trefflichste einzumischen weiss, gemäss dem Ursprungsmotto der beiden: «Pigor singt. Benedikt Eichhorn muss begleiten.» Der neoliberale Paradigmenwechsel, ein Swing mit Wutgebrüll, Pigor als die grosse Somnambule, die Bedrohung durch Gastgeber, ein Esperanto-Slop – Beschwingt schlürft man den Abend weg, der Durst wird gelöscht, nicht nur durch den Wodka, der schliesslich zur kleinen Pause vor der dritten Hälfte im Publikum verteilt wird. An dieser Stelle nutzt Eichhorn Pigors Abwesenheit zu einem wunderbaren Solostück mit leichter Grönemeyer-Attitüde; er ist wütend aufs Ruhrgebiet und offenbar sind doch einige wissende NRWler im Saal. Aber wo, um Himmels willen, ist denn eigentlich die Linie im Programm? Von was singt Ihr da bloss? Von Winterreifen! Von Bohrmaschinen! Von allem, aber stets brillant. Pigor und Eichhorn singen sich um unseren Verstand. Das muss genügen, und es genügt. Und bei der dritten Zugabe, der Wurstverkäuferin, wird der Abend dann noch zur ganz grossen Oper.

Weitere Aufführungen in Luzern: Fr., 21. 2. und Sa., 22. 2., 20 Uhr. Kleintheater; 33,-/23,- Sfr. Pigor und Eichhorn im Netz: www.pigor.de