LESELESELESEL

Loge, Luzern, 29.05.2018: Wenn Beat Sterchi kommt, der helvetische Godfather of Spoken Word, ist erhebend-unterhaltsame Lyrik-Performance garantiert. Vor vollen Rängen stellte er sein neustes Buch «Aber gibt es keins» vor, dazu gabs ein paar (eigene) Klassiker. Bravourös.

Es hat sogar Visuals: Per Beamer sind Müsterchen von ungeraden Seiten aus «Aber gibt es keins» an den Kleinstbühnenprospekt gebeamt. Die jeweils rechts liegenden Seiten sind nämlich besonders: Es handelt sich um Bildwörtergedichte, um Konkrete Poesie, wie das früher hiess. Reihungen, Variationen, eine ganze Seite voller «OUTO» oder an den Rändern angeschnittene «....DIDIDIOTOIDIDITO....» oder 16-mal untereinander «ALLES IST MÖGLICH» oder 11-mal «ALLES ÄNDERN». Auch schön: «LESELESELESEL».

Die linken Seiten sind meist kurzen bis Kürzestgedichten reserviert, kurz und bündig und mit grosser Tiefe, mal Mundart, mal Hochdeutsch. 

Beispiel «Autobiografie»:

Ich bin.

Ich habe.

Ich sollte.

Ich wollte.

Ich könnte.

Ich hätte müssen.

Ich werde nie wieder.

Die Titelworte finden sich in einem Gedicht mit dem Titel «Berichtigung». Jüngst hat jemand dazu geschrieben: Diese Gedichte sind Ausdruck von verschmitztem Hintersinn oder solch vertrackter Logik: «Aber, / sagen sie leise, / Aber / gibt es keins.» Die rechte Seite versammelt allerlei «AR-ABER».

Sterchi beginnt den Abend mit exklusiven Texten, «die es nicht in das neue Buch geschafft haben». Nicht minder gut imfall. Für seinen Vortrag – man sollte es halt, und erst noch von ihm, dem Autor, gehört haben – hat Sterchi als musikalische Bereicherung ein Xylofon mitgebracht, wo er dann schon mal den schönen «dü-da-do»-Dreiklang spielen kann, wenn der Text vom Berg handelt. Vor der «Schweigeminute» schweigt er tatsächlich lange, um dann, wir haben nicht mitgezählt, gefühlte und vermutlich wahrhaftig 60-mal «Schweigesekunde» anzuhängen.

Zum Schluss: «Jo, das wär öppe das Buech.» Hat jemand eine Frage oder einen Kommentar? Es hat. «Postzweigstelle», die einem im Publikum besonders gefiel, ist eines jener Wörter, die, so Sterchi, «einem hängen bleiben». Ob Berner Mundart oder Schriftdeutsch, das sei übrigens nie ein bewusster Entscheid. Es gäbe Sachen, die halt auf die eine oder die andere Art besser funktionieren würden.

Exklusiv hat Sterchi ein Blatt dabei, das ebenfalls nicht in «Aber gibt es keins» Platz hatte. Es spielt mit «SOFORT», «FORT», «SOSO». Er nennt das «Matrjoschkas», als wie die russischen Verschachtelungsfiguren: Wörter, die in Wörtern drin stecken.

Als Zugabe gibt’s den Klassiker «Gotthelf-Alphabet», 25 Jahre alt und damals jeweils unter Mithilfe des Luzerner Akkordeonisten Adi Blum performt. Es sind allesamt Wörter, die dem originalen Gotthelf-Buch «Der Geltstag – oder Die Wirtschaft nach der neuen Mode» entstammen, von Sterchi einfach zusammengesammelt und in eben alphabetische Reihenfolge gebracht. Gotthelf, für die Jüngeren: helvetischer Godfather of Mundartliteratur (gelebt 1797–1854). Noch mehr Zugabe gibt’s in Sachen Gipfeli, Cremeschnitte, Meringue und Nussgipfel. Oder dann, freihändig, ein Fall von «globalisiertem Text», der mit Anpassungen weltweit funktioniert: «Ine i Denner / Ine i d Migros / Ine i Coop» – Sterchis Kommentar: «Das isch üses Läbe.» Wie wahr.

Beat Sterchi: Aber gibt es keins
Der gesunde Menschenversand, Luzern 2018, 112 Seiten

Apropos Verlag der gesunde Menschenversand:
Jubiläumsfest 20 Jahre Menschenversand
SA 9. Juni, 19.30, Kulturhof Hinter Musegg, Luzern
Mit: Semi Eschmamp, Canaille du Jour, Dominic Oppliger, Judith Keller und Texten von Aglaja Veteranyi gelesen von Jens Nielsen.
Master of Ceremonies: Matto Kämpf. Anschliessend Tanz mit DJ bumbum bis 0 Uhr

Der gesunde Menschenversand

 

Loge:

Lesebühnen- und Saisonabschluss mit Surprise-Special
Dienstag, 12. Juni, 19.45 vor der Loge

The Beauties & das Biest gehen aufs Schuelreisli!
Die Luzerner Lesebühne mit Max Christian Graeff, Christov Rolla, André Schürmann und Patti Basler
Reise ins Unbekannte / Words & Sounds, Transport, Essen & Trinken: alles inklusiv für 50 Franken
Beschränkte Platzzahl.