Kurze Chronik einer Lesung

Der gebürtige Walliser (mittlerweile Bieler), soeben aus Paris und Litauen zurückgekehrte Dichter und Gebirgspoet Rolf Hermann, hob gestern in der Loge seinen zweiten Lyrikband «Kurze Chronik einer Bruchlandung» aus der Taufe. Für den musikalischen Part war der Cellist Mathis Keller besorgt.

Ein kleines Grüppchen hatte sich gestern (Dienstagabend) in der Loge eingefunden um Rolf Hermanns Gedichten zu lauschen. Gedichten, die sich aus dem scheinbar Alltäglichen rauswühlen wie Maulwürfe, die sich schliesslich zwischen Assoziationen und stillen, nie gesucht wirkenden oder exzessiv betriebenen Wortspielen unauffällig aus dem Staub machen. Ein Kritiker schrieb von «Luziden Landschaften», die von Hermanns Lyrik entfaltet würden, «wo sich Fata Morganas zwischen Naturlandschaften, Städte, Träume Erinnerungen und Beobachtungen schmuggeln». Zwischen den Worthappen kitzelte Mathis Keller – Solocellist im Orchester Collegium Cantorum, Kammermusiker und freier Improvisator (u.A. Zusammenarbeit mit dem Luzerner Mani Planzer) – hochspannende Sounds aus seinem Cello, die Referenz auf die Texte nahmen. Im Hintergrund leuchteten Collagen auf, die Hermann aus Kunstwerken (erst nach Ablauf des Urheberrechts) und Zeitungsfotografien zusammengestellt hatte, die er mit einem witzigen, eigenen Werkkatalog plus Übersetzungstitel versah. Beispielsweise der Titel «Don't Go Off on a Tangent», der selbst schon Verballhornung ist, wird eingedeutscht zu «Herr Asperger in Tanger». Einige der Collagen kann man hier anschauen. Zwischen den drei Sets gab es zwei Gespräche, moderiert vom Mit-Logenverwalter und Poet André Schürmann. Über die Arbeitsweise des Dichters, der meist aus einem immensen Skript aus Skizzen selektiert und collagiert. Über seine Einflüsse von Frank O'Hara, Rolf Dieter Brinkmann und «überhaupt dieser Beat-Generation». Dem Gesprächsleiter fiel dann auch auf, was bisher weder dem Autor noch der Leserschaft ins Auge stach; nämlich dass auf beiden Covers, ob Erstling «Hommage an das Rückenschwimmen in der Nähe von Chicago und anderswo» oder Nachfolger «Kurze Chronik einer Bruchlandung», die Abbildung eines Mannes von hinten in kurzen Hosen prangt. Während Hermann im ersten und dritten Set querbeet las, war das zweite ausschliesslich den zehn Kurzgedichten aus dem Kapitel «Der Hosenträgerpianist» gewidmet, der Sequenz des Buches, die als einzige mit Interpunktion und blosser Nummerierung anstelle von Titeln auskommt. Wo «Nr. 5» mit dem fantastischen Satz «An guten Tagen tauge ich vielleicht als Vorlage für ein vergilbtes Tapetenmuster ...» beginnt, wo «Nr. 10» mit «Erschöpft liege ich zwischen zwei Buchdeckeln und schiebe mich zurück ins Regal» endet. Zur Conclusio: Schade, dass nicht mehr da waren, obschon die Lesung in diesem intimen Rahmen noch mal eine Schicht Stimmung verpasst bekam. Hermann sollte man gehört, muss ihn jedoch gelesen haben/noch lesen. Wer sich für eine naturalistisch-psychedelische (Oxymoron, ist mir bewusst) Poesie abseits von Kitsch, Pathos und Slam begeistern kann, sollte mal den einen oder anderen Blick in Hermanns Bücher werfen. Bleibt nur noch die Frage, wer denn wohl diese Anna ist, die an verschiednen Stellen immer wieder auftaucht.