Kunst verschiebt Grenzen

HSLU – Kunst & Design, Emmenbrücke: Im April und Mai finden im Rahmen des Salon IDA (Interdisciplinarity in Design and Arts) mehrere Vorträge zum Thema «Fluchten» statt. Nanna Heidenreich und Matthias Thiele sprechen an der Hochschule Luzern – Design und Kunst über «Kunst Macht Migration – in Film und Karikatur». Sie sagt: Kunst prägt die Art und Weise, wie wir Migration verstehen.

Bild: zVg

Der Vortrag am Salon IDA versucht das Verhältnis von Kunst und Migration zu bestimmen. In welchem Bezug stehen die beiden Begriffe?

Spricht man von der Verbindung zwischen Migration und Kunst, dann wird dies meist so verstanden, als ginge es um die Darstellung einer Thematik. Auf der einen Seite gibt es die Migration und auf der anderen Seite steht die filmische oder künstlerische Repräsentation. Dabei geht es nicht um die Darstellung einer anderen Realität, sondern darum, dass mit den Mitteln der Darstellung diese Realität erzeugt wird. Was wir unter Migration verstehen, wird auf den Bildschirmen und Leinwänden nicht abgebildet, sondern mit hergestellt. Diese Grundfunktion von Kino beziehungsweise Kunst in Relation zu Migration steht im Zentrum meiner Arbeit. Das formuliere ich immer gerne mit der These, dass Migration Repräsentation herausfordert.

Kunst gilt aber oft als Vermittler. Denken Sie, dass die Kunst da eine gewisse Aufgabe besitzt?

NH. Ich würde sagen ja und nein. Ja, weil mich persönlich die Kunst und das Kino besonders als politischer Möglichkeitsraum interessieren. Aber nein, weil sich die gegenwärtige, zeitgenössische Kunst seit einer Weile mit der Selbstbeschreibung als politische Avantgarde gefällt; dass Kunst dort entspringt, wo die politischen Systeme versagen. Aber so einfach ist das nicht.

Ist Kunst in Ihren Augen politisch?

Kunst kann, aber muss nicht immer aktivistisch, politisch engagiert sein. Sie macht es innerhalb der Logiken des Feldes der Kunst und mit ihren Mitteln. Diese können das Politische mitverhandeln, aber dazu muss das auch entsprechend mitgedacht werden. Dennoch: Wenn Migration auf Bildschirm und Leinwänden dargestellt wird, können diese die Vorstellung, die wir von Migration haben, auch umformatieren.

Trägt das künstlerische Schaffen dabei eine gewisse Verantwortung?

Ich würde grundsätzlich sagen, dass Kunst Verantwortung trägt. Besonders, wenn es um künstlerische Praktiken geht, die den Anspruch haben, Kritik an politischen Verhältnissen zu äussern. Vor allem aber habe ich als Künstler*in eine Verantwortung gegenüber den Personen, mit denen ich zusammenarbeite und deren Geschichten ich erzähle, die ich befrage und ausstelle, welche ich zu Objekten meiner Kunst mache.

Gibt es Einschränkungen, wer sich mit der Thematik künstlerisch befassen «darf»?

Ich würde sagen, es gibt Grenzen. Gleichzeitig ist die Kunst ja auch dazu da, Grenzen zu verschieben. Die Grenzen des Denkbaren, die Grenzen des Möglichen, die Begrenztheit der Imagination. Aber worauf beziehen sich diese Grenzüberschreitungen, welcher Raum wird von diesen Grenzen umschrieben, von welchem Zentrum gehen sie aus?

Können Sie Beispiele nennen?

Problematisch wird es für mich bei Künstler*innen wie Santiago Sierra und Renzo Martens. Menschen werden illegalisiert und ausgebeutet, das stellen sie aus, indem sie es wiederholen. Die deutsche Philosophin Juliane Rebentisch hat mit Bezug auf Sierra von der Unsicherheit der Schwellenerfahrungen gesprochen, von der Verunsicherung der Grenzen zwischen Fiktion und Realität. Und wie diese Arbeiten die Position des Publikums selbst zum Problem werden lassen. Das ist zwar nicht falsch: Das Publikum soll seine Komplizenschaft realisieren. Aber Kunstschaffende, oder Kritiker*innen, oder eben auch Kurator*innen, bleiben hier aussen vor.

Bei solchen Arbeiten stellt sich doch auch immer die Frage danach, wessen Stimme erzählt wessen Geschichte – wer spricht?

Im Prinzip ist das eher eine Frage der Perspektive. Ich glaube auch gar nicht, dass die Authentizität der Stimme irgendetwas garantiert. In ihrem Film «Kurz davor ist es passiert» versucht Anja Salomonowitz eine Auseinandersetzung mit illegalisierter Migration zu zeigen. Die Personen in dem Film erzählen jeweils Geschichten, die nicht ihre sind, als ihre eigenen: ein Zöllner, eine Hausfrau, eine Sexarbeiterin. Dieses interessante Verfahren zeigt, dass Migration überall verbreitet ist, dass die Geschichten, die verschiedenen Stimmen, zusammenhängen. Die Viktimisierung von Sexarbeit ist dabei schwierig. Ich glaube aber, es ist oft wichtiger, was gehört wird, und wie zugehört wird. Zumal Migration oft nur in bestimmten Erzählungen Gehör findet.

Wie soll denn die Kunst damit umgehen?

Der in Kanada lebende deutsche Künstler Oliver Husain geht damit beisielsweise in vielen seiner Videos sehr spielerisch um. In «Green Dolphin» http://www.husain.de/portfolio/greendolphin.html verschwimmen Leinwand und Ich-Erzählung: Eine kanadische Philippina erzählt von ihrem Leben, oder ist es nicht doch die Geschichte des Hollywood-Melodrams, von dem wir Ausschnitte zu sehen bekommen? Macht das einen Unterschied, wem die Geschichte gehört? Wem gehören die Geschichten, die wir sehen, die wir lesen? Das ist eine schöne Arbeit, die zeigt, dass und wie Migration formatiert wird, und wie wir Migration überhaupt wahrnehmen.

Salon IDA
DI 23., DI 30. April, DI 2., MO 6., DI 7., DO 9., DI 14., DI 21., DO 23. Mai, jeweils 17.30 Uhr
Hochschule Luzern – Design & Kunst, Emmenbrücke

Das Interview gefällt? Hier gibt es alle Texte von Laura Ritzenfeld!