Kunst in der alten Teigwarenfabrik II

Der Kunstraum Teiggi beschäftigt sich in zwei Ausstellungen mit dem Kunstschaffen von Künstlerinnen und Künstlern aus Kriens. «vorOrt 1» fand bereits im Juni statt, nun folgte mit «vorOrt 2» die Fortsetzung und der gleichzeitige Abschluss dieser Ausstellungsserie. Wiederrum sind zehn künstlerische Positionen vertreten, welche die Vielfältigkeit von regionalen Kunstarbeiten aufzeigt.

Langsam, aber stetig wurde Luft durch die Abzugshaube einer Lüftung aus dem Raum einer ehemaligen Teigwarenfabrik gesogen, welche kurz vor dem Abbruch steht. Wie die letzte Einatmung eines sterbenden Menschen. Die Installation Exchange of elements von Chris Aschwanden (*1975) interveniert und greift die Tatsache auf, dass die Räume vor deren Abbruch als Kunsträume zwischengenutzt werden. 40‘000 Liter Wasser ergiessen sich fortan stündlich aus der modifizierten Abzugshaube und lassen so das lebensspendende Elixier zurück in den Raum fliessen. Ausgangslage für die Arbeit Abgelaufen von Jolanda Brun (*1949) ist eine Installation aus dem Jahr 1998, die im Chäslager Stans zu sehen war. Unter dem Titel folie à deux türmte sich ein Kubus aus 224 transparenten Schachteln, gefertigt aus Klarsichtfolien und Klebestreifen. Der Inhalt der Boxen thematisierte auf bedruckten Hellraumprojektorfolien je zur Hälfte Begriffe aus der Wirtschaft und zum menschlichen Körper. Die über die Jahre in Kartons gelagerten Boxen wurden zum Platzproblem und brachten Jolanda Brun auf die Idee einer künstlerischen Wiederverwertung. Das Projekt begann mit einer inszenierten Abbauaktion im Kunstraum Teiggi, dessen Prozess mit Fotografien von Heidi Hostettler dokumentiert wurde. Die Überreste sind von Jolanda Brun in Stapeln gefalteter Boxen und auf einem Stahlspiess neu arrangiert worden. Dabei geht die Transparenz im ursprünglichen Sinne zwar verloren, wird aber in geänderter Form wieder aufgelebt. Komplementiert wird die Arbeit mittels einer interaktiven Dokumentationsstelle, bei welcher der Besucher den Verlauf der Entsorgungsaktion bildlich nachvollziehen kann.

René Büchi (*1939) präsentiert eine konzeptuelle Arbeit, die spezifisch für den kleinen Ausstellungsraum entwickelt wurde. In die gesamte Bodenfläche wird eine dreiteilige Installation eingepasst, deren Schräglage ein neues Raumvolumen definiert. Die lückenhafte Gruppierung der Holzfragmente, die allesamt von selben Baum stammen, suggeriert eine gewisse Transparenz der Leerräume. Diese Durchsicht wird in den Holzdruckarbeiten wieder aufgenommen. Ähnlich einem Weitblick in einen Wald hinein, zeigen sich unterschiedlich verdichtete Strukturen, die aus bis zu sieben Druckvorgängen übereinander bestehen. Durch die bandartige Hängung soll sich der Blick des Betrachters auf die gegenseitige Bezugnahme der Holzdrucke im Innen- und Aussenraum fokussieren.

Max Christian Graeff (*1962): Unser Leben ist durchzogen von Vorstellungen, wie wir demnächst leben werden, wie wir gegenwärtig lieber leben würden und wie wir am liebsten gelebt hätten. Ausgespart ist die Mitte dieses Wunschgeflechts, das tägliche Hier und Jetzt. In diesem Vakuum unserer Träume gilt es, das Leben in Ordnung zu halten, den mentalen Abwasch zu machen und die stets voller werdenden Sammelalben mit den gestrigen Hoffnungen zu durchblättern. Die klassische Einbauküche ist dort, wo es sie gibt, die Wohnstatt der Lebenslüge: ein immerwährender Sehnsuchtsort und zugleich ein Ort der Verzweiflung, der Selbstaufgabe, des Verlöschens. Eines Tages richten wir sie ein, um uns vom Lebensleid der Vorgeneration zu lösen, dann hat sie zu funktionieren und zu glänzen, wird immer wieder abgelöst, optimiert und modernisiert, bis sie eines Tages zum Stillstand kommt und ausgeräumt, aufgelöst, zerschlagen wird – meist nicht mehr von uns selbst. Die Küche, täglich gebraucht, um unseren Verbrauch zu versorgen, ist zugleich der Ort, der uns von unserem Leben trennt.

Die Tauchfotografien von Heidi Hostettler (*1958) vermitteln bildhafte Eindrücke aus dem Vierwaldstättersee. Die Aufnahmetechnik der Serie Ground Visibility orientiert sich an der horizontalen Sichtweite in Bezug auf den Seegrund. Ähnlich wie bei einem Landeanflug können die Sichtweiten beim Tauchen unterschiedlich klar, weit, trüb oder dunkel sein, was den Seegrund als imaginäre Landschaft erscheinen lässt. Die Serie Faded thematisiert die Vergänglichkeit der Seerose, die generell als Klischee für Schönheit und Reinheit gilt, doch ebenso verblühen und verderben kann. Die Schlafenden Bäume geben Aufschluss über den langwierigen Zersetzungsprozess jener Bäume, die an den Uferzonen ins Wasser gekippt und liegen geblieben sind. Anhand einer historischen Fotografie des ehemaligen Speditionsraumes, wo heutzutage Jennifer Kuhn (*1970) ihren Arbeitsplatz im Gemeinschaftsatelier Hilton hat, entwickelt sie eine malerische Rückbesinnung auf die alten Räume der Teigwarenfabrik. Die Hommage an die ehemalige Fabrik und ihre Arbeiter bewegt sich zwischen Abstraktion und Figuration. Hinzu kommen ein spielerische Umgang mit kraftvollen Farben, Formen und Musterungen sowie der Einsatz verschiedener Perspektiven für die Erzeugung von Flächigkeit und Plastizität. Die Figuren wirken wie Marionetten, die dem Betrachter helfen, mit dem Blick über das Bild und durch den Raum zu wandern. In stilistisch verwandter Manier wie der französische Kubist Fernand Léger begibt sich Jennifer Kuhn auf die Spur der Industriealisierung und stellt sie konträr als bunte und fröhliche Arbeitswelt dar.

Der grossformatige Wandspiegel ist die Basis für die raumspezifische Arbeit von René Odermatt (*1972). Die konzentrische Anordnung der mittels Stempeldruck auf den Spiegelgrund übertragenen Eichenblätter orientiert sich am Motiv eines Kranzes, der in verschiedenen Variationen im Alltag vorkommt. Die kompakte Aneinanderreihung fungiert wie ein Sichtschutz und unterdrückt dadurch die Funktionalität des Spiegels. Die Formensprache des Kranzes korrespondiert mit der spiralförmigen Stabskulptur, deren Muster der Holzmaserung eine optische Dynamik vermittelt. Zusammen mit dem gestürzten Hocker ergeben sich vielseitige Interpretationsmöglichkeiten, welche der Betrachter für sich selbst erschliessen kann.

Einer umfangreiche Recherche nach Archivmaterialien über die ehemalige Teigwarenfabrik in Kriens widmete sich Helen Ruckstuhl (*1953) für die Produktion von Druckserien. Kleine Fotos von Innen- und Maschinenräumen, vermutlich in den 1930er-Jahren aufgenommen, aus dem Archiv des Museums Bellpark in Kriens bilden neben eigenen Fotoaufnahmen diverser Aussenansichten die Basis für die künstlerische Verarbeitung mittels Druck- und Ätzverfahren. Die Radierungen würdigen die Gebäude der Teiggi, wovon einige von über 160 Jahren industrieller Entwicklung in der Schweiz zeugen und schon bald aus dem Krienser Ortsbild verschwinden werden. Gleichzeitig soll an die Menschen erinnert werden, die hier vor langer Zeit gearbeitet haben.

Esther Wicki-Schallberger (*1954) zeigt drei verschiedene Werkgruppen ihrer künstlerischen Produktion. Auf der Bar befinden sich kleine Naschereien, die auf spielerische Weise aus modifizierten Alltagsgegenständen entfremdet wurden. Drei farbintensive Werke auf Plexiglas und mit Fotos hinterlegt stehen exemplarisch für das malerische Œuvre von Esther Wicki-Schallberger. Daneben reihen sich integrative Bildmontagen, die auf dem fotografischen Inhalt der Publikation Die Clubhütten des Schweizer Alpen-Club im Jahr 1927 basieren. Mit subtilen Eingriffen, vornehmlich durch Zitate aus der Architektur- und Kunstgeschichte, erzielt Esther Wicki-Schallberger wirkungsvoll formale und inhaltliche Verfremdungen, die den historischen Fotografien eine neue Aktualität verleihen.

Der tägliche Blick auf eine Baustelle an der Bireggstrasse in Luzern war die Inspirationsquelle für die grossformatigen Nitrodrucke von Vreni Wyrsch (*1969), die zwei ausgewählte Sequenzen der regen Bautätigkeit in einer Momentaufnahme darstellen. Insbesondere die Umtriebigkeit der vielen Bauarbeiter, die Mobilität der Maschinen und der stetige Baufortschritt waren die Indikatoren für die Umsetzung einer bildhaften Entschleunigung und Reduzierung auf eine kulissenartige Flächigkeit. Zudem werden Zeit und Ort durch das technische Verfahren des Nitrodrucks regelrecht aufgelöst und anonymisiert. Durch die Motivwahl entsteht eine umgekehrte Verbindung zum drohenden Schicksal des Teiggi-Areals; während an der Bireggstrasse ein Bauwerk errichtet wurde, werden die Gebäudeteile der Teiggi wohl bald abgebrochen oder umgebaut.

Die Ausstellung «vorOrt 2 – Krienser Kunstschaffende» ist im Kunstraum Teiggi vom 1. September bis 30. September 2012 zu sehen. Die Öffnungszeiten sind jeweils Mittwoch und Freitag von 18.00 bis 21.00 Uhr sowie Samstag und Sonntag von 14.00 bis 18.00 Uhr.