Kulturoffensive macht vorwärts – Zweite Grossdiskussion im Anker

Vor einem Monat fand die erste grosse Diskussion der Kulturoffensive statt – wir berichteten. Am letzten Mittwoch nun das zweite Treffen; rund 50 Personen arbeiteten vier Stunden lang konzentriert und engagiert – mit handfesten Resultaten. You will see!

Wir haben berichtet über das erste Treffen der Kulturoffensive, haben festgehalten, dass das Engagement für Kultur weit über den einen Proberaum und das andere Atelier hinausgeht. Es findet zurzeit, nicht nur in Luzern, ein massiver Verdrängungsprozess statt: Die Städte sollen auf «Standortwettbewerbstauglichkeit» getrimmt werden, jegliche Lebendigkeit wird zugunsten eines marketingdefinierten Mainstreams unterdrückt. Wegweisungsartikel und Litteringpolizei sind eine direkte Folge davon, aber auch die zunehmende Verdrängung der nicht etablierten Kultur … – doch halt! «Nicht etabliert»? Innerhalb der jeweiligen Szene ist jede Kultur durchaus etabliert, und staatlich gefördert wird sie oft auch, obschon in aller Regel mit im Vergleich zu den Prestigetempeln nachgerade lachhaft kleinen Beträgen. Soll man sich also tatsächlich schon durch die Nomenklatur selber in eine Schublade drücken? Wie aber nennt man es sonst? Die Diskussion um diese Frage war einer der umstrittenen Punkte, die am Mittwoch zur Sprache kamen. Doch wir greifen vor. Ziel der Sitzungen ist, möglichst viele Interessierte aus allen Bereichen der Kultur, aber auch aus Stadtentwicklung und zum Beispiel Gassenarbeit zusammenzubringen – die Gassenarbeit, letztes Mal mit gleich zwei Vertretern vor Ort, glänzte hingegen schon beim zweiten Treffen durch Abwesenheit, lassen wir den Salesiapark also noch aussen vor. Anwesend waren rund 50 Leute, die sich aufteilten auf (nach Anzahl der «BranchenvertreterInen» geordnet) Kunst, Aktion/Veranstaltungen, KonsumentInnen, Musik, Uni, Theater, Tanz, Literatur, Asyl, Politik, Museum. Zu Beginn der Sitzung wurde eine kurze Zusammenfassung der letzten Sitzung dargereicht, dann berichteten die VertreterInnen der drei Arbeitsgruppen (siehe ersten Artikel) über ihre Arbeit. Während bei der Gruppe «Vernetzung» ebendiese Vernetzung nicht geklappt hat und sich deshalb nur drei Leute getroffen haben, wurde aus der Gruppe «Aktionen/Kick-off-Event» mit einer «interaktiven Live-PowerPoint-Präsentation» berichtet (hochgehaltene Plakate, ein sehr kurzweiliger Vortrag), und die Gruppe «Manifest» stellte ihr Manifest vor. Dann teilte man sich in drei Gruppen auf («Vernetzung» 11, «Aktion» 7, «Stadtentwicklung/Manifest» 32 Teilnehmende) und vertiefte die Vorarbeit. Während über anderthalb Stunden wurde nun gearbeitet, sich gerauft, fantasiert, bis die Köpfe rauchten. Dann die gemeinsame Schlussdiskussion, die wiederum eine gute Stunde dauerte. Wir wollen nun nicht den Resultaten vorgreifen, sie werden früh genug bemerkbar werden, und man will ja die Überraschung nicht verderben. Deshalb an dieser Stelle einige grundsätzliche Bemerkungen: Es war eindrücklich, mitanzusehen, wie konzentriert man arbeitete, wie hoch das Niveau der Gespräche war und wie viel Raum man sich liess, wie ernst man einander nahm. Zwar hätte man sich zeitweilig eine etwas straffere Gesprächsführung gewünscht, und wie üblich hörten sich manche selber lieber beim Reden zu als andere (und anderen), aber in Anbetracht der Tatsache, dass so viele ausgeprägte Individuen aus so vielen Branchen mit ihren jeweiligen Partikularinteressen in einen (Nichtraucher-)Saal gepfercht waren, kam man verblüffend schnell voran und konnte eine beachtliche Vielzahl an Themen ansprechen. Dabei wurde immer abgewägt zwischen grundsätzlichen Themen und daraus erwachsenden Forderungen, die mal gross und dann wieder klein und nur scheinbar banal waren. (Weshalb gibt es zum Beispiel auf Stadtgebiet nicht eine einzige Feuerstelle am See? Wie vielfältig also kann öffentlicher Raum überhaupt genutzt werden?) Die hohe Qualität der Diskussion stimmt optimistisch, hierarchiefreie Arbeit funktioniert und muss nicht gleich zur Qual werden. Einmal mehr wurde deutlich, dass es nicht darum gehen kann, sich auf einen eng gefassten Begriff von Kultur zu beschränken. Wie im ersten Artikel schon erwähnt, ist der Themenkreis wesentlich weiter zu fassen: Nur in einer lebendigen Stadt, die auch günstigen Wohnraum zur Verfügung stellt, kann kulturelle Vielfalt überhaupt stattfinden. Natürlich ist das Bedürfnis nach Tanzstudios, Ateliers, Proberäumen, Auftritts- und Ausstellungsmöglichkeiten gross und ungestillt und im Zuge der Gentrifizierung der Städte werden ebendiese Räume immer weiter reduziert. Aber wenn man nicht die Möglichkeit hat, günstig zu wohnen, kann man auch keine nicht gewinnorientierte Kultur mehr betreiben: Es fehlt an Mitteln sowie an Zeit und Energie, die man nun für den Gelderwerb aufwenden muss. Kultur in ihrer ganzen Bandbreite und Vielfalt ist Voraussetzung für die Lebendigkeit einer Stadt. Sollte man sich, wie es aus dem Stadthaus zu tönen scheint, tatsächlich auf KKL und Salle modulable reduzieren, kann man Luzern grad so gut in Zombieville umtaufen. Diese Einsicht zu fördern, ist das Kernanliegen der Kulturoffensive. Und der Wind weht scharf: Zwar hängen Kulturchefin und Stapi immer noch so sehr an dem modulablen Dings, dass sie – der öffentlichen Entrüstung plötzlich auch im Elfenbeinturm gewahr – unlängst verlauten liesse, man baue dann halt noch eine Bühne an die Salle an, wo Theater und Tanz stattfänden – verblüffenderweise mit den genau gleichen Kosten –; aber wir dürfen nicht vergessen, wie ebendiese Kulturchefin sich am Staats-TV vor Kurzem noch schamlos dahin gehend äusserte, dass, wer Theater oder Tanz wolle, dann halt nach Basel oder Bern fahren müsse. Eine bittere Pille. Da dieselbe Kulturchefin auch lauthals «Buuh!» zu rufen pflegt, wenn man moniert, Luzern würde zu einem Disneyland und man solle kulturelle Vielfalt fördern, gilt es hier, ein waches Auge zu bewahren – die Interessen nicht gewinnorientierter, vielfältiger Kultur scheinen im Stadthaus nicht den höchsten Stellenwert zu haben. Doch da ist es wieder: «nicht gewinnorientiert». Ja ist denn das KKL gewinnorientiert? Ein so teurer, nicht amortisierbarer Bau? 18 Millionen Nachtragskredit? Etliche Millionen jährlicher Subvention? Und mit viel Geld wird jeder Platz im Luzerner Theater bei jeder Vorstellung unterstützt? 100 Franken? Mehr? Mit Verlaub, da ist jedes kleine Rockkonzert gewinnorientierter! Und damit wieder zur eingangs erwähnten Grundsatzdiskussion: Wie soll mans also nennen? «Alternativ» geht nur in Anführungszeichen und trifft auch nicht zu: In meinem Kulturbegriff zum Beispiel wäre die Salle modulable «alternativ», sie hat mit meiner Realität nichts gemein. «Nicht etabliert»? Warum denn dieses? Die meisten von mir geschätzten KünstlerInnen sind durchaus etabliert, auch wenn sie meist in kleineren Venues auftreten. Und das «nicht» impliziert eine Abgrenzung, die so nicht gerechtfertigt ist. «Subkultur»? Na, die 68er liegen doch schon eine Weile zurück. Das Thema wurde gegen Schluss der Veranstaltung kontrovers diskutiert, und man entschied sich für die naheliegende Lösung: Man spricht einfach von – Kultur. Fresst das mal. Weitere Information und Forum: kulturoffensive.ch.

Nachtrag: Man verzeihe die späte Publikation dieses Texts. Aber am frühen Donnerstagmorgen fiel meine geliebte Zita Abelina (rechts im Bild) der Bernstrasse zum Opfer, sie stand wenige Tage vor der Geburt ihrer sechs Jungen. Und ja, auch die Reduktion der so selbstverständlich hingenommenen Dominanz des Autoterrors muss in der bevölkerungsorientierten Stadtentwicklung einen wichtigen Stellenwert einnehmen. Aber wie immer hat auch diese Medaille eine Kehrseite: Gerade der Umstand, dass die Bern-/Luzernerstrasse so dicht befahren ist, sorgt für bezahlbare Mieten. Was allerdings nichts ändert an meiner Trauer um meine liebe Prinzessin.