«Kultur ist die Zähmung des Elementaren»

Im Rahmen des Lucerne Festivals fand heute (Sonntag) Nachmittag im Luzerner Saal ein NZZ Podium mit der Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff, dem Composer-in-residence Dieter Ammann und dem Literaturwissenschaftler Peter von Matt statt. Die Diskussion geleitet und fleissig mitgeredet hat Martin Meyer, Ressortleiter NZZ Feuilleton.

Erst gab's eine Begrüssung von Martin Meyer mit einigen herrlichen Schmunzlern und gute-Besserung-Wünschen an den leider erkrankten und deshalb verhinderten Pianisten und Dirigenten András Schiff, für den Composer-in-residence Dieter Ammann (Siehe auch Kulturmagazin 07/08 2010) einsprang. Dann bestieg der «grösste lebende Schweizer Schriftsteller» (Reich-Ranicki), Peter von Matt, das Podium um das Eröffnungsreferat zum Thema «Eros - Die Liebe und die Kunst» zu halten. Von Matt bewies sich einmal mehr als brillianter Sprachvirtuose, der in einfachen Worten und mit erhellenden Beispielen komplexe Themen einkreisen, verständlich machen kann. (Man erinnere sich an seine letztjährige 1.-August-Rede auf dem Rütli, wo der Nord- und der Südkoreanische Botschafter anwesend waren, der Nordkoreaner ganz in grau wie Ol`Kim J. Ill ... dieses Jahr liessen sie irgendein Bubi reden). Die Liebe, so von Matt, sei ein Ereignis, das von keiner Deutung eingeholt werden könne. Immer bleibe ein Rest, der nicht begreifbar wäre. Dies habe die Liebe mit dem Tod gemeinsam. Beiden seien wir nie ganz gewachsen. Weiter führte er fort, dass keine Gesellschaft ganz auf Gesetze verzichten könne, die den Eros bändigt. Ihr Verschwinden wäre der Anfang der Barbarei. Ein Schwerpunkt der Rede war, weshalb uns die Schrecken des Eros in der Kunst im gleichen Masse anziehen wie seine Seligkeit. Und dass dieser Eros durch die Jahrhunderte grösstenteils derselbe geblieben sei. Im Neuen wirke verkleidet das Uralte. Diese These wird durch das Paul-Celan-Gedicht «Bildnis eines Schattens» untermauert, die das nur noch als antiquarische Kuriosität gehandeltes Muster des Aufzählens von Körperteilen mit surrealistischen Bildern kurzschliesst. Die darauf folgende, wahrlich intellektuell anregende Diskussion, wurde von Dieter Ammann dominiert, der sich dagegen wehrte, dass Musik gezielt erotisch oder sonstwie gefärbt geschrieben werden kann. Seine These war, dass Musik Klang ist, der in verschiedenen Menschen verschiedene Dinge auslöst, eine Ausgangslage, ein Angebot aber nie eine Aussage. Dagegen wehrte sich Martin Meyer mit einigen Beispielen von Stücken, die seiner Meinung nach eindeutig einen Koitus beschreiben – von Vorspiel bis Höhepunkt. Ammann reagierte darauf, dass das bloss so sei, weil das die Musiklehre eben so lehre. Wenn er (Meyer) nicht geschult worden wäre, das so zu empfinden, empfände er wahrscheinlich etwas total anderes. Dies untermauerte Ammann dann gleich am Beispiel einer Lionel-Ritchie-Ballade, von der er am Flügel einen Ausschnitt spielte. Von Matt fasste oft zusammen, schoss ab und zu eine geistreiche Bemerkung ein, oder übersetzte Deutsch-Deutsch, wenn die Diskutierenden aneinander vorbeiredeten. Mit Sibylle Lewitscharoff kam man überein, dass Literatur und Musik nicht wirklich zu vergleichen sind und dass es durchaus Stücke gibt, die in Einzelnen etwas Bestimmtes auslösen, aber niemals einer Masse etwas Allgemeingütiges. Im Gegensatz zur Literatur, die subtil aber unbedingt reflektieren, menschliche Mechanismen aufzeigen soll und so beim Lesen die Menschenkenntnis schärft. Nach einer guten Stunde kam die letze Frage von Martin Meyer. Leider, kann man sagen, ich hätte gerne noch weitergelauscht (die Stühle waren zwar verdammt unbequem), auch wenn sich dich die Debatte zuweilen im Kreis drehte. Da waren spannende Leute versammelt, die etwas zu sagen hatten. Das letzte Wort hatte Lewitscharoff, die anregte, dass der Eros in der Gesellschaft nach und nach verblassen würde. Dann wurde die Fragerunde eröffnet – und das war grässlich. Als erstes eine Frau, die fragte, warum wir von Sex umgeben sind und doch keine Lust mehr haben auf den Partner (Mike-Shiva-Frage tönte es von der Bühne), dann profilierte sich der Dramaturg des Lucerne Festivals und stellte Ammann eine Frage, die er bereits im Film auf der Homepage des Lucerne Festivals beantwortet hatte. Dann begann wieder eine Frau ... «Ich habe keine Frage, aber ich möchte anmerken dass ...» Es war Zeit zu gehen. Zum Thema Eros möchte ich noch ein Karl-Lagerfeld-Zitat anfügen: «Sex ist ein schönes Spielzeug für junge Leute, später bloß noch ein banaler Gebrauchsartikel.»