Konstruierte Traumwelten

Loge, 6.9.2016: Den Erzählungen in Jens Nielsens neustem Erzählband «Flusspferd im Frauenbad» fehlt oftmals eine für wichtig empfundene Zutat: die Pointe. Zu einer Zugabe kommt es an der Lesung in der Loge dennoch.

(Foto: Giorgio von Arb)

Der Zürcher Autor und Schauspieler Jens Nielsen läutet an diesem lauen Septemberabend die neue Saison der Loge ein – die 13., um genau zu sein. Frühaufstehern mag die Stimme des Bühnenpoeten bekannt vorkommen: So las Nielsen unter anderem im Rahmen der SRF-2-Radio-Rubrik «Früh-Stück» bereits aus «Flusspferd im Frauenbad».

Heute Abend liest der Autor nicht. Er präsentiert seine Geschichten frei. Zum Lesen sind die Erzählungen primär auch gar nicht gedacht; sie gehören zur «edition spoken script» des Luzerner Verlags «Der gesunde Menschenversand», wo sie teilweise auch in etwas abgeänderter Form niedergeschrieben sind. Beim Zusehen und –hören wird rasch klar, weshalb diese Wörter auf die Bühne gehören. Aus dem Mund ihres Erzeugers beginnen die skurrilen Geschichten auf einmal deutlich mehr Sinn zu ergeben als bei der privaten Lektüre. Das Nilpferd in der Küche erscheint auf einmal völlig normal, ebenso wie die Gras-Epidemie in der Bank am Paradeplatz. Elefanten, die übers Wasser laufen? – Geht klar! Nielsen versteht es, durch eine breite Palette an Stimmfarben sowie eine starke Mimik das Unmögliche zu beleben und lässt so seine abstruse Form von Komik entstehen.

Was den Erzählungen aus «Flusspferd im Frauenbad» dennoch öfters mal fehlt, ist die Pointe – der Knalleffekt. Dieser Umstand scheint dem Autor nicht unbekannt, wohl gar Teil des Programms zu sein. So kommentiert er mal selbstkritisch: «Da hätte es auch noch weitergehen dürfen»; mal schulterzuckend: «Die dreissig Sekunden Radiozeit sind halt schuld». Diese abrupten Enden verleihen den Geschichten eine gewisse Sinnlosigkeit, wie wir sie aus Träumen kennen. So bestreiten Trüffelschweine ein Dressurreiten, während die edlen Pferde sich in Genetik, Flugzeugbau und in der Pferdezucht weiterbilden. Die Welt friert zu. Seesterne fallen vom Himmel. Eine senile Mutter nimmt ihr totes Hündchen weiterhin mit auf Spaziergänge, bis auch der letzte Knochen aus der Leine fällt. Ein erklärender Clou bleibt absent – die Geschichten stehen für sich, als gäbe es nichts Sonderbares an ihnen. Wie im Traum eben.

Die Sprache unterstreicht dabei das Traumhafte. Die Sätze brechen oftmals in der Mitte ab, als wäre dem Erzähler soeben das Wort entfallen. Diese Unmittelbarkeit des Gesprochenen – die in diesem Fall präzise konstruiert ist – lässt den surrealen Inhalt umso natürlicher wirken. Spannend ist ferner, dass Nielsen sich auch zwischen den Kurzgeschichten – als er zum Publikum spricht – der Erzählersprache bedient und seine Sätze ebenfalls nicht beendet. Dadurch beweist er feinstes Bühnenhandwerk.

Flusspferd im Frauenbad