Kolossale Kaiser im KKL

KKL, 05.10.2015: Kein Pop-Konzert wurde jüngst in Luzern fleissiger beworben als jenes des kanadischen Ausnahmemusikers Chilly Gonzales mit dem Kaiser Quartett. Verantwortlich für diese Kampagne zeichnet der Salad Days Club. Hat sich der Aufwand gelohnt?

(Bilder: Silvio Zeder)

In den vergangenen Monaten kam man in Luzern um seine Figur nicht herum: Jason Beck alias Chilly Gonzales, Superpianist, Superproduzent, Scheissrapper, war überall. Plakate, Radios, Magazine, Internet: wirklich überall. Verantwortlich für diese Kampagne zeichnete der Salad Days Club; ein Bund von verschiedenen Veranstaltern der hiesigen Kulturszene, namentlich B-Sides Festival, Südpol, Schüür, KKL, Treibhaus, Radio 3FACH (und ehemals Sedel). Das Ziel? Grosse Namen der alternativen Populärkultur in die Leuchtenstadt zu holen.

Chilly-Gonzales-Einzel-Screen

Die erste Ankündigung ging – glücklicherweise – in die Hose: Das Konzert der Klaxons (eine Band, die ihren Zenit schon lange überschritten hat) wurde aufgrund von Booking-Querelen abgesagt. Stattdessen lautete der Name des Premiere-Stars Chilly Gonzales. Ein kanadischer Wunderpianist und selbstbetitelter «Worst MC», der ausserdem als einflussreicher Produzent wirkt und bereits mit Daft Punk, Feist oder Boys Noize zusammengearbeitet hat. Begleitet wurde der Virtuose vom deutschen Kaiser Quartett, mit dem er jüngst die Platte «Chambers» auf den Markt gebracht hat; ein Werk, das viel klassische Musik sowie zarte Pop-Ansätze beinhaltet. Und etwas langweilig wirkt. Würde das also eine pop-polierte Klassik-Show im Konzertsaal des KKLs werden?

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Nein. Im Gegenteil. Die fast ausverkaufte Konzertstätte sollte eine triumphale Vorführung erleben. Die Erwartungen und die Spannung waren riesig. Diesen stellte sich Chilly Gonzales – bekleidet im traditionellen Bademantel – zuerst alleine. Ein paar Solostücke, schön, kurzweilig. Dann der erste Bruch: das Kaiser Quartett erschien und ... blieb beim anschliessenden Stück stumm, mit Ausnahme des letzten Moll-Akkords als Schlusston. Lautes Gelächter, tosender Applaus: Das Eis war gebrochen. In der Folge unterhielt Gonzales die Zuhörerschaft mit sarkastischen Vorträgen zu verschiedenen Musikthemen (für einen solchen wurde er übrigens kürzlich verklagt) und demonstrierte immer wieder seine Virtuosität und jene seiner vier Mitmusiker. Jeder Ton wurde gelebt. Ein Genuss.

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Entertainment gab's reichlich in diesen musikalischen Ansagen: Eine simple Erklärung der aufspielenden Instrumente (zwei Violinen, eine Bratsche, ein Cello, später Schlagzeug) formte sich zu einem Stück, ausgehend von Flageoletts, Tremolos und weiteren Spieltechniken. «Happy Birthday», «Chariots of Fire» sowie weitere Lieder wurden im Moll-Schlüssel vorgetragen. Die Verbindung von Rap und klassischer Musik bekam das Publikum zudem auch erklärt; der Beef zwischen Johannes Brahms und dem Antisemiten Richard Wagner (eine Anspielung auf Gonzales’ jüdische Abstammung?) wurde da glatt mit jenem Knatsch von Notorious B.I.G. und Tupac gleichgesetzt. Und schlussendlich verunglimpfte Gonzales den Jazz als wirres Konstrukt mit vielen Tönen, das er nicht mag – nur um im Anschluss den Latin-Jazz-Standard «The Girl From Ipanema» im Thema der ersten Violine rezitieren zu lassen.

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Gelegentlich wirkten diese Showeinlagen zwar ein wenig gar eingespielt, aber sie funktionierten grandios; die Zuhörer_innen tobten. Ein Highlight: Schlagzeuger Joe Flory trat für einen einzigen Schlag auf die Bühne, um dann wieder zu verschwinden. Er sollte dann im Verlauf jedoch eine wichtigere Funktion einnehmen. Schon zuvor fiel auf, dass Gonzales sich durch verschiedene Programmpunkte – Solo-Piano, klassischere Stücke, Unterhaltungseinlagen, Hip-Hop-Songs – spielte. Diese waren stets als angenehme Häppchen eingeteilt; immer, wenn die Gefahr der Langatmigkeit drohte, erhielt der Konzertabend einen Twist.

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Und da spielte eben Flory eine entscheidende Rolle, weil genau sein Schlagzeugspiel der Vorführung das finale Groove-Schmankerl für die Darbietung der «Ivory Tower»-Stücke hinzufügte. Nach dem meisterhaften «Knight Moves», wo speziell  Gonzales’ Abschluss in den tiefen Registern für Gänsehaut sorgte, hielt es das Publikum folglich nicht mehr auf den Stühlen: Standing Ovations, ohne dass die Musiker überhaupt vor dem Konzertende standen. Prompt wurde das folgende Stück im Stehen gespielt (für den kanadischen Hünen am Piano durchaus eine rückenbelastende Herausforderung). Nach drei Zugaben inklusive Gesangseinlagen kam dann aber auch die beste Show des «Musical Genius» zum Ende. Fazit: ein kolossaler Triumph im KKL. Die Symbiose von Pop und Klassik des spartenübergreifenden Künstlers funktionierte nicht nur für das Publikum, sondern repräsentierte den Salad Days Club als Gesamtvereinigung ideal. Was oder wer folgt wohl als Nächstes?