Knoxed out (pt. II)

So war Niklaus Troxlers letzter Tag als Chef des Jazz Festivals Willisau. Ein Augenzeugenbericht unseres Sonderkorrespondenten.

Dann wurde es Sonntag abend, und alles war vorbei. Die Ära von Niklaus Troxler am Jazz Festival Willisau endete, aber Ära ist vielleicht ein zu kleines Wort, weil es bis jetzt ja gar nichts anderes gab. Nur den Knox. Und natürlich seine Familie, die das Festival zu wesentlichen Teilen mittrug. Einer aus dieser Familie wird nun den Kopf etwas weiter herausstrecken aus der Clanarbeit: Ab 2010 ist Arno Troxler der Chef des Jazz Festivals Willisau. Die Erneuerung des Festivals hat begonnen, und das ist, bei allen riesigen Verdiensten von Niklaus Troxler, schon eine gute Sache. Vielleicht wird – nur zum Beispiel – Marc Ribot in Zukunft auch mal fehlen dürfen.

Der New Yorker Gitarrist, mit Troxler dem Älteren durch viele, viele Willisauer Auftritte verbunden, spielte das letzte Konzert dieses Festivals. Und das war konzeptionell natürlich richtig, weil der Abgesang auf den bisherigen Festivalchef damit von einem kam, der persönlich, aber auch musikalisch für den Kern dessen steht, was Willisau ausmacht: Die kompromisslosen Freien der New Yorker Downtown, zu denen Ribot zu zählen ist, ermöglichten nach den frühen Free-Jazz-Jahren ja in den Achtzigern so etwas wie eine Wiedergeburt des Festivals im avantgardistischen Geist der Pionierjahre, seine Wiederaufladung mit dem grossartigen Esprit von Freiheit, Radikalität und durchaus auch Berserkertum. Das hallt bis heute nach. Aber ausgerechnet heuer hallte es etwas schal. Ribot war mit seiner neuen Gruppe Sunship da. Besondere Merkmale: eine zweite Gitarre (Mary Halverson). Das ging recht schön los, als Drone aus vielen unnennbaren Gitarrengeräuschen, war aber bald im routinierten Gitarrengedengel angekommen, bei dem die einfachen Gitarrenfiguren wie gehabt im Paniermehl der Avantgarde gewendet wurden und so eine schöne Kruste aus Noise- und Feedbackkrümeln erhielten. Gleichzeitig blieben Chad Taylor am Schlagzeug und Jason Ajeman am Bass aber viel zu blass, um die Ribotroutinen auch mal aufzuwühlen. Die Musik wirkte unfertig, unverdichtet und unterprobt, und vor allem auch ziellos. Gratisavantgarde. Sie hätte gerade so gut nicht gespielt werden können. Marc Ribot ist ein besserer Sideman als Bandleader und ein originellerer Interpret als Komponist. Sein hoher Tom-Waits-Koeffizient ist cool und steigert seinen Marktwert, musikalisch gibt es aber Aufregenderes.

Das galt leider auch für den Auftritt des neuen Festivalchefs Arno Troxler, der den letzten Konzertblock als Schlagzeuger von Hans Feigenwinters Trio eröffnete. Feigenwinter am Piano, Wolfgang Zwiauer am E-Bass und Arno Troxler am Schlagzeug machten eigentlich alles richtig. Feigenwinters Kompositionen stechen feine Nadeln ins rosa Fleisch der Eingängigkeit, und Zwiauers elastisches Spiel leuchtete ebenso ein wie Troxlers kühl abgemessene Impulse am Schlagzeug. Das war alles gut und stilsicher, aber auch etwas könnerisch und risikolos. Es hatte vielleicht etwas zu wenig von dem, was Arno Troxler von der Musik verlangt, die er in Willisau ab sofort programmieren will: Dringlichkeit. Dringlichkeit kann auch im Kopf beginnen, klar, aber bei diesem Auftritt blieb sie dort auch stecken. Dass das Trio auch anders kann, zeigte es im letzten Stück: Da war plötzlich ein fluider Groove, in den sich Feigenwinters klug verwinkelte Akkorde wunderbar einklinkten. Plötzlich war da keine Frage mehr nach Dringlichkeit. Nur eine Antwort, und die lautete Selbstverständlichkeit. Und weil’s so spät war in der Ära, gab’s in diesem Programmblock ausnahmsweise sogar ein drittes Konzert. Bevor man nach ungefähr der Hälfte tatsächlich ein Konzert des Duos mit Lucas Niggli (Schlagzeug) und Xu Fengxia (chinesische Laute, chinesisches Hackbrett, Gesang) sah, gab’s zunächst eine grosse Performance von Xu Fengxia, der ein zunehmend verzweifelter Lucas Niggli erfolglos hinterher hastete. Während dem ganzen ersten Set versuchte der Zürcher, irgendwie in die Show der Chinesin einzudringen. Die war mit schmetternden Rubati, vokalen Extremen und archaischen Lautgesängen recht opulent und auch recht interessant, aber immer mit dem leisen Unbehagen verbunden, dass da doch eigentlich noch jemand hatte mitspielen wollen. Die Musikalität der alten chinesischen Instrumente ist unglaublich, ihre zirpenden und schaukelnden Nuancen sind ein Wunder. Auf hohen Touren zur Schau gestellt, ermüden sie schnell. Der zweite Teil begann mit lang gestrichenen Tönen, von Niggli und Fengxia mit Geigenbögen auf Becken und Harfe erzeugt, und sofort und endlich war da ein musikalisches Zwiegespräch in Gang gekommen, das höchst ideenreich und dicht bis zum Ende des Konzerts anhielt. Und sonst? Sonst sagen wir danke an Niklaus, danke für alles, «it’s been a fuckin’ pleasure» (so Noel Gallagher, ebenfalls gestern Sonntag, am Ende einer anderen Ära). Und zu Arno sagen wir: Hau rein! Wir freuen uns.