Kein Kinderkram

KKL Luzern, 11.10.2020: Die Luzerner Kantorei singt Mendelssohns «Elias». Die jungen Musiker*innen lassen die alttestamentlichen Verse tröstend klingen. Es ist die Verschmelzung aus begeisternder Berufsmusik und kindlicher Musikbegeisterung.

Es herrscht Ausnahmezustand im KKL. Klein gewachsene Gestalten füllen die Chorränge hinter dem Orchester und im Publikum werden die silbrigen Köpfe der Grosis für einmal mit Tschäppern ergänzt. Die Luzerner Kantorei gibt Felix Mendelssohns «Elias» zum Besten. Die Kantorei, das ist der Luzerner Mädchenchor und die Luzerner Sängerknaben, also singende Kinder aus der Zentralschweiz und solche, die es mal waren – sprich: die Alumni. Klar sollte also sein, dass für solch ein Ensemble ein Stück gewählt wird, in dessen Chorpartien sich die jungen und junggebliebenen Sängerinnen austoben können. Mit dem Oratorium «Elias» ist das von Beginn weg der Fall: Dem Klageruf «Hilf, Herr!» verleiht der Chor eine beeindruckende Klangfülle, die der Verzweiflung des Textes und der Sehnsucht des d-Molls gerecht wird und zeigt: Das hier ist kein Kinderkram.

«Elias» ist inhaltlich schwerer Stoff. Die Titelfigur, ein biblischer Prophet, beschwört eine Dürre herauf, streitet mit den Propheten eines anderen Gottes, verspottet sie und ruft im Namen des einen Gottes zu ihrer Ermordung auf; gerät so in Konflikt mit den Autoritäten, die selber die «fremden» ins Land geholt haben und muss darum bangen, dass ihm das gleiche Schicksal blüht. Der Tiefpunkt des zürnenden Helden ist zugleich einer der musikalischen Höhepunkte des Stückes: In der Arie «Ich habe genug» lässt der Bass, Marc-Olivier Oetterli, die Erschöpfungsdepression des lebensmüden Propheten greifbar werden.

Doch warum sollte man ausgerechnet Kinder einen so ernsten Stoff singen lassen? Weil es gut klingt! Und weil die Librettisten in den Prophetenzyklus der hebräischen Bibel so ziemlich das Best-of der erbaulichen Verse des Alten Testaments eingeflochten haben: «Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuss nicht an einen Stein stossest.» Oder: «Siehe, der Hüter Israels schläft und schlummert nicht.» Und nicht zuletzt auch das auf etlichen Firmungen und Konfirmationen bemühte Erscheinen Gottes, das sich weder im Sturmwind, noch im Erdbeben und Feuer, sondern im «sanften Säuseln» äussert. Gerade diese auch inhaltlich zugänglicheren Passagen singt der Chor. Von jungen Kinderstimmen gesungen, tönen diese lichteren Verse des Oratoriums durchaus tröstend, ja manchmal lieblich, doch niemals herzig, dafür singt die Kantorei einfach zu gut. Diese Klänge kann man geniessen, ohne religionsphilosophischen Herausforderungen des Textes nachzugehen.

An diesem Abend stellte das Collegium Musicum Luzern das Orchester unter der Leitung von Eberhard Rex, der unter der Woche als Spiritus Rector des Kantorei waltet. Bei solchen Gelegenheiten bringt Rex mit seinen Zöglingen zwei Sphären miteinander in Berührung, die nicht allzu offenkundig zusammengehören: die Musik jener, die sie aus kindlicher Freude hervorbringen und die Musik jener, die von ihr leben. Ohne kindliche Musikbegeisterung gäbe es keine Berufsmusik und ohne Berufsmusik hätte kindliche Musikbegeisterung keine Räume, in denen sie wachsen kann. An jenem Abend verschmelzen beide zu eins. Rex sei Dank.