Ja? Nein? Vielleicht?

Südpol Luzern, 05.06.2014: Das Performance-Duo «White on White» zeigte gestern in der mittleren Halle des Südpols ihr sechstes Stück, auf den kontroversen Titel «Queer Sells» getauft. Neben schwurbeliger Pseudophilosophie und viel Hipstertum stellten sich einige durchaus sehenswerte Momente ein.

Als unglückliche Künstler seien sie sehr glücklich, heute hier zu sein – Lacher aus dem Publikum. Und los geht’s mit circa 10 Minuten Frontalunterricht, etwas französische Philosophie hier, eine Prise Kritische Theorie dort. Iggy Malmborg aus Malmö und Johannes Schmit aus Berlin, zusammen «White on White», schicken ihrer eineinhalbstündigen Performance eine belehrende Einführung voraus: «We have to do this introduction, otherwise the following wouldn’t make any sense». Hmpf. Müsste eine Performance nicht als abgeschlossene Einheit – für sich – funktionieren können?

Anyway: Die beiden jungen Herren, die sich als leftist hipsters bekennen (und den heutigen Abend als Gelegenheit beschreiben, unserem leftist hobby nachzukommen), wollen Grosses vollbringen. Nämlich die vorherrschenden Machtbeziehungen unserer männlich-weiss-dominierten Gesellschaft analysieren und (mittels ihrer Performances?) subvertieren. Wie das geht? Hoffentlich nicht begleitet von plattem Auf-die-Bühne-scheissen, wie sie es in ihrer dritten Produktion zu tun pflegten – und worauf eine bekannte deutsche Tageszeitung kongenial titelte: «Dieses Theaterstück ist echt scheisse». White on White polarisieren, das ist klar. Heute geben sie sich jedoch etwas zahmer. Nach den «notwendigen» Erklärungen, die aus dem sozialkonstruktivistischen Diktum bestehen, nach dem ich dasjenige bin, was ich und andere von mir sagen, dass ich es bin, gemischt mit der Überlegung, dass auch das Aussehen Identität stiftet, kommen sie zum Herzstück ihres Programms: eine Unmenge verschiedenster Sprechakte.

Im ersten Akt stehen Malmborg / Schmit in der ansonsten stockdunklen Halle unter zwei Lichtkegeln und äussern mal lakonisch, mal aufgebracht unzählige (gefühlte tausend) Einzelsätze. Diese sind so angeordnet, dass es gegen den Schluss hin immer einfacher wird, die Äusserungen affirmativ zu beantworten (Von «I have been diagnosed with cancer» bis zu «Couches are cozy»). Dann kommt Blut. Und Wahrheit. Einer der beiden schneidet sich die Oberstirn auf, Blut läuft im übers Gesicht und in den Mund, der andere lässt sich rote Farbe herunterlaufen. Die Sprechakte werden persönlich – und angeblich restlos wahr («During my whole sex life, I’ve been coming too early»). Dazwischen gibt es eine kurze Musikpause mit (Achtung, Hipster-Alarm!) Modeselektors ohrenbetäubendem (auch in sämtlichen Indie-Kanälen overplayedem) «A New Error». Zum Schluss ist der ganze Saal wieder erhellt und «White on White» gibt sich zuerst als queeres Paar/Performance-Duo aus, dann als ein Duo bestehend aus zwei heterosexuellen Künstlern, macht danach noch einige – ernstgemeinte – Komplimente ans Publikum und imaginiert zum Schluss ihre und unsere Zukunft, wo Bionormativität der Vergangenheit angehört und Geschlechtsteile aus den Achseln wachsen. Solche Gedankenspiele muten schwurbelig und überdreht an. Wenn man Deleuze, Horkheimer und Adorno als Vorbilder hat, dann sollte man sie auch (richtig) lesen.

Das neue Programm von White on White ist aber dann stark, wenn es bei den wirklich klug angeordneten Sprechakten verweilt und unsere tiefstliegenden Sprechgewohnheiten herausfordert. Was sollen wir für bare Münze nehmen und wie wird unsere soziale Wirklichkeit aus «bare Münze»-Sätzen konstruiert? Wie können und sollen wir sie verändern? An der Reibung, die entsteht, wenn Malmborg / Schmit in einer unglaublich konzentrierten Lakonie unsere gewohnten spachlichen Umgangsformen ins Leere laufen lassen, kann man durchaus Klarsicht über heutige Machtverhältnisse gewinnen. Und dann ist da diese unglaubliche Selbstdemontage, die an Stellen aufblitzt. Wie meinen die jetzt das, was die da machen und sagen? Das Ganze wird nicht mehr fassbar, weil sich viele Widersprüche auftun. Man nimmt auch die ganze Hipsterei nicht mehr ernst, kann die beiden in gar keine Schublade mehr stecken. Es stellt sich dann aber natürlich die Frage, ob man sich hinter derartiger Selbstreflexion auch etwas verstecken kann – und das ansonsten spannende eigene Schaffen so entschärft.

White on White: «Queer Sells» kann man noch einmal im Südpol sehen, heute 06. Juni um 20 Uhr.