It’s alive! – Vierte kulturpolitische Diskussion im Anker

Der Umzug war schön, bunt und ein Erfolg – doch er war nur ein erster Höhepunkt, war als Kick-off-Event für die Kulturoffensive gedacht. Reicht der Pfuus? Am Mittwoch fand wieder eine Sitzung statt. Pirelli ging hin – und war einmal mehr beeindruckt.

Deutlich über 20 Leute trafen sich am Mittwoch im Anker (dabei wärs ein so schöner Abend gewesen …), um über das weitere Vorgehen in der Kulturoffensive zu beraten – sie kamen aus allen möglichen Branchen, waren altersmässig breit gefächert, und die Geschlechterparität wurde präzis eingehalten. Es wurde erst ein Dankesbrief vom Chef der Dienstabteilung, Rico De Bona, verlesen: Er danke den OrganisatorInnen des Umzugs für die Kooperation und bezeichnete diesen als «anerkannten Erfolg». Was immer das auch heissen mag.

Dann wurde über das Vernetzungscafé informiert – man entsinnt sich, das Geissmättli wurde geräumt. Das Café hat jetzt Gastrecht im neuen Ulkulturum (Kasernenplatz, zwischen Bruch Brothers und Bruch Bar – schön ists geworden!), an einem noch festzulegenden Wochentag. Zick und Zwerg sind auch sonst nicht inaktiv: Sie planen jetzt ein wanderndes Open-Air-Kino, man trifft sich immer dienstags um 20 Uhr beim Triumphbogen am Bahnhof und wandert dann zu der jeweiligen Location. Und ein weiterer Veranstaltungstipp wurde gegeben: Am 19. Mai organisiert die HSLU in der Reihe «Master Talks» einen Workshop mit den legendären Yes Men – der Besuch lohnt unbedingt. Dann teilte man sich in verschiedene Diskussionsgruppen auf. Einmal mehr wurde ungeheuer konzentriert gearbeitet – und es wurden zahlreiche Widersprüche offenbar, die es zu bereinigen galt. Einige der grundsätzlichen Ergebnisse: -    Die Struktur der Sitzungen muss geändert werden. Es sollen sich mehr Arbeitsgruppen konstituieren, die auch mit grösserer Autonomie agieren, sich mit Rückdeckung durch das Plenum selbstständig an die Öffentlichkeit wenden können. Koordiniert werden sie durch eine Koordinationsgruppe, die im Fall noch Mitglieder sucht. Einige dieser Arbeitsgruppen sind ständig im Einsatz (z. B. «Zeitung», die das Periodikum der Kulturoffensive herausgibt), andere können sich von Fall zu Fall konstituieren. Wem ein Thema unter den Nägeln brennt, der/die kann sich jederzeit über die Website an die Offensive wenden und so eine Gruppe bilden. Man erhofft sich davon Straffung und Reduktion der Plenumssitzungen, die mit drei bis vier Stunden jeweils zu eigentlichen Marathons ausufern.

 

Zbinden Druck: Das Gebäude an der Ecke Friedental-/Sedelstrasse steht seit Längerem leer. Man hat schon geraume Weil ein Auge darauf geworfen, nun gilt es, Druck aufzusetzen. Eine entsprechende Volksmotion ist im Umlauf; das Gebäude eignet sich zur partiellen Frigorex-Nachfolge. Nun wird es im Rahmen des Fumetto schon mal kulturell genutzt: Hingehen, anschauen, sich einsetzen für den Erhalt! Eine entsprechende Sitzung findet statt am 28. Mai von 18 bis 20 Uhr, im Tanzstudio Irina Lorez in der Frigorex. -    Kulturkompromiss: Der alte Kulturkompromiss hat ausgedient, die Boa ist zu, die Schüür mittelfristig bedroht, auch die Zukunft des Treibhaus ist nicht gesichert. Alle diesbezüglichen Ansinnen stossen bei der Stadt auf taube Ohren, man hat sich deräwäg auf das «Standortmarketing» versteift, dass man die Lebensqualität der UreinwohnerInnen und auch der weniger finanzkräftigen Gruppen einfach aussen vor lässt. Wie nun also mehr Druck aufsetzen? Zuerst ist es wichtig, dass man die verschiedenen kulturellen Branchen und Altersklassen stärker zusammenführt. Die Kulturoffensive hat bei manchen bereits den Ruch, «jung und links» zu sein, was sich auch bei der Altersverteilung am Umzug zeigte. Doch dem ist durchaus nicht so! Sie bietet eine einzigartige Chance, sich für den Erhalt eines lebendigen, lebenswerten Luzern zu engagieren – und sich ganz nebenbei für günstigen Wohn-, Atelier- und Kulturrraum einzusetzen, was letztendlich im ureigenen Interesse jedes/jeder kulturell Aktiven liegen muss, egal, wie arriviert oder wie alt.

Wie also einen gemeinsamen Nenner finden? Den gibt es bereits: das liebe Güld. Der Subventionskuchen wächst nicht, aber es sind immer mehr Leute am Start. Alteingesessene verteidigen ihre Pfründen bis aufs Blut, Solidarität wurde zum Fremdwort. Die zuständigen Stellen vertrauen auf arrivierte Namen – das Geld fliesst dorthin, wo es immer hingeflossen ist; wer neu dazukommt oder einen weniger grossen Namen trägt, reisst sich das letzte Hemd vom Leib, um eine Platte, eine Ausstellung, ein Tanzprojekt auf die Beine zu stellen. Die Unterschiede sind frappant. Das Freie Theater z. B. teilt sich 450’000 Franken p. a.  mit dem Laientheater, das Stadttheater verschlingt 22 Millionen – und stellt den Freien nicht mal die Werkstätten zur Verfügung. (Ich fands auch auch einigermassen befremdlich, by the way, dass ich, als ich neulich ins Kunstmuseum ging, von sechs Leuten bewacht wurde, den ganzen Nachmittag über aber keinen einzigen anderen Besucher sah. Was das kostet!) Es gilt nun also, herauszufinden, wie viel Geld in die Kultur fliesst und wie es verteilt wird. Dann ist dieser Schlüssel zu diskutieren, infrage zu stellen – das wird auch die Arrivierten aus dem bequemen Fauteuil reissen und sich auf ihre Anfänge besinnen lassen. Nicht, dass man es z. B. den grossen Namen im Jazz nicht gönnt, dass jede ihrer Platten und jedes Konzert mit haufenweise Kohle unterstützt wird und sie so einen eindrücklichen Output haben können; aber dass so viel Geld aus staatlichen und privaten Quellen blockiert ist und an einige wenige fliesst, ist nicht minder verwerflich als die ungeheuren Beträge, die dem Stadttheater und dem KKL in den gierigen Rachen geschoben werden. Von der Unverfrorenheit, mit der man am Millionengrab Salle modulable festhalten zu können meint, ganz zu schweigen.

Apropos KKL: Wie wir wissen, hat die Generalunternehmung beim Bau des (zusätzlich den See vergiftenden) Kupferdachs gepfuscht. Die notwendige Revision (nur «im tiefen zweistelligen Millionenbereich», hohnlachte der Stapi allen darbenden KünstlerInnen ins Gesicht) wird mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nicht von der GU übernommen, denn die wurde inzwischen verkauft, die neue Besitzerin fühlt sich nicht zur Haftung verpflichtet. Gleichzeitig werden die Steuern gesenkt, es wird an allen Ecken und Enden gespart. «Standortwettbewerb» halt. Hier bietet sich ein Ansatzpunkt für Opposition und Druck; ob dieser aber ähnlich stark ausfallen kann wie in den Achtzigern, als man sich Boa und Schüür erstreiten konnte, weil das KKL sonst nicht gebaut hätte werden können, ist in Anbetracht der bislang eher schwächelnden, solipsierenden Szene fraglich. Über die Subventionsdebatte und das Infragestellen der bisherigen Gelderverteilung sollte man die Kulturschaffenden jedoch dazu bringen können, die Finger aus dem Hintern zu nehmen und für Kultur per se einzustehen. Es ist Zeit, sich auf die Hinterbeine zu stellen! Um dieses grosse Thema zu bearbeiten, wurde die Arbeitsgruppe «Kulturkompromiss 2.0» gegründet, die bereits mit vier einigermassen etablierten VertreterInnen aus Tanz, Theater und Musik bestückt ist. Gesucht werden noch Menschen aus den Bereichen Bildende Kunst und Presse/Literatur, aber sie steht natürlich auch allen anderen Interessierten offen. Fazit: The Kulturoffensive is alive and kickin’. Da ist viel Elan und Engagement zu spüren, jetzt geht es um die Konsolidierung und die breitere Abstützung. Mitmachen! PS: Auf die Frage, ob es jetzt zum Prinzip werde, dass Demos nur noch ausserhalb der Ladenöffnungszeiten stattfinden können, damit das hehre «Shoppingerlebnis» nicht gestört werde, meinte die gestern an der Buvette als Bardame amtierende Stadträtin Ursula Stämmer einigermassen aggressiv, dem sei sicher nicht so. Nun, ich bin überzeugt, der Tatbeweis wird folgen.