Irgendwo herrscht immer Krieg

Luzerner Theater, 18.01.2020: Selten wird dem Publikum so viel abverlangt, wie bei «Troja» am Luzerner Theater. Die neue Fassung des antiken Stoffs zeigt Abgründe, die sich in jedem von uns finden lassen. Die antike Schlacht um Troja wird damit schrecklich gegenwärtig.

Bilder: Ingo Höhn

Sie ist die «Mutter aller Kriege»: die Schlacht um Troja. Unzählige komplexe griechischen Mythen umgeben sie, machen sie dadurch zum Mittelpunkt der Werke etlicher antiker Dramatiker. So auch beim Griechen Euripides. Drei seiner Tragödien rund um die Schlacht Troja – «Iphigenie in Aulis», «Die Troerinnen» und «Hekabe» – werden von Ingo Berk für das Luzerner Theater in eine einzige Inszenierung mit dem kurzen Namen «Troja» verpackt. Die Textfassung stammt von der Schriftstellerin Melinda Nadj Abonji, deren Roman «Tauben fliegen auf» vor drei Jahren bereits am Luzerner Theater inszeniert worden war.

Die unendliche Lieblosigkeit des Bühnenbildes

Die Schlacht um Troja selbst kommt im ganzen Stück nicht vor. Auch gängige Assoziationen wie das Trojanische Pferd werden nicht bedient. Berks Stück beleuchtet stattdessen das Davor und Danach, die Beweggründe dahinter und nicht zuletzt die Leidtragenden. Die Opfer, das Leid, das Elend und die Absurdität des Krieges rücken ins Zentrum.

Das Bühnenbild verortet die vermeintlich verstaubte Thematik eines 2500 Jahre alten Stücks unangenehm nahe an die Gegenwart und der Blick wird erbarmungslos auf menschliche Abgründe gerichtet.

Troja im Luzerner Theater

Wir befinden uns in einem grossen Zelt eines Feldlagers. Eine trostlose, graue Kulisse, die bereits zu Beginn ein beklemmendes Unbehagen auslöst. Links zwei Bildschirme mit einem Wetterradar (die griechischen Truppen stecken vor der Schlacht aufgrund eines Sturmes in Aulis fest), rechts ein Lavabo, an dem immer mal wieder Blut von den Händen oder von einem Messer gewaschen wird, in der Mitte ein Tisch und mehrere Feldbetten. Alles wird in ein erbarmungsloses weisses Licht und ein kaum wahrnehmbares, bedrohliches Hintergrundgeräusch gehüllt.

«Ich glaube, dass die Archaik noch in uns drinsteckt und dann plötzlich in einer Ausnahmesituation hervorbrechen kann.»

Ingo Berk

Aufgrund der Leere des Bühnenbildes scheint es, als ob die Worte der Schauspieler*innen ins Unendliche widerhallen würden. Fast unerträglich nahe kommt man in diesem trostlosen Setting den Dialogen und erhält damit Einblicke in die Beweggründe für Opfergaben, für Kindsmorde, Rache und sonstigen, nur scheinbar archaischen, Gräueltaten.

Troja im Luzerner Theater

«Ich glaube, dass die Archaik noch in uns drinsteckt und dann plötzlich in einer Ausnahmesituation hervorbrechen kann», lässt Regisseur Ingo Berk im Programmheft verlauten. Und tatsächlich: Die üblichen Wertekategorien von Gut und Böse, von Gewinner*in oder Verlierer*in lösen sich zunehmend auf. Ja, auch die Gründe für den Krieg erscheinen unwichtig, je näher die einzelnen Schicksale rücken. Das Stück wird, wie von den Macher*innen versprochen, zu einem zeitlosen «Politthriller», dessen tragischem Sog man sich kaum entziehen kann.

Ein Marathon für die Konzentration

Diese andauernde und sich nie lösende Anspannung verlangt jedoch den Zuschauenden auch einiges an Durchhaltevermögen und Konzentration ab. Die archaische Sprache, trotz Neubearbeitung von Melinda Nadj Abonji, birgt eine gewisse archaische Poetik, benötigt dadurch jedoch immer viel Aufmerksamkeit. Bloss kurz verschnaufen oder einmal nur mit halbem Ohr zuhören und man verliert den Anschluss. Tatsächlich schien der eine oder die andere im Publikum plötzlich in seinen eigenen Kampf gegen die Müdigkeit und die schweren Augenlieder verwickelt.

Troja im Luzerner Theater

Doch schafft man es und kämpft, leidet und stirbt irgendwie auch gemeinsam mit den Schauspieler*innen auf der Bühne, so lässt einem die Intensität dieses Stückes auch beim Verlassen des Theaters kaum los. Denn irgendwo herrscht immer Krieg, irgendwo ist immer Troja.

Troja
Bis SO 12. April
Luzerner Theater

Inszenierung: Ingo Berk; Bühne: Damian Hitz; Kostüme: Karin Jud; Musik: Patrik Zeller; Text: Melinda Nadj Abonji; Licht: Marc Hostettler; Dramaturgie: Nikolai Ulbricht;

Spiel: Christian Baus; Sofia Elena Borsani; Grégoire Gros; Sophie Hottinger; Wiebke Kayser; Nicolas Rosat; Julian-Nico Tzschentke; Mira Wickert; Moritz Häller; Juri Duvoisin

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