Irgendwas mit Schweigen

Luzerner Theater, 09.10.2015: Vorhang auf für das wohl bekannteste aller Theaterdramen: der wundersamen Tragödie von Hamlet, dem Prinzen von Dänemark. Zeitloser Theaterstoff, der seit der Renaissance das eigene Urteilsvermögen von Sein oder Nichtsein zu thematisieren weiss. Dieses Mal im Luzerner Theater: wild, wirr und wunderschön.

(Von Joséphine Schöb / Bilder: Ingo Höhn)

Andreas Herrmann hat mit Shakespeares Hamlet ein Stück geschaffen, dessen anpreisende Worte «bereit sein ist alles» wohl vor allem für die Zuschauenden gedacht sind. Machen Sie sich gefasst auf einen entstaubten literarischen Klassiker, gespickt mit textlichen Juwelen, hautnahem Irrwitz – und einer ebenbürtigen Kulisse mit viel viel Nebel, Wind und Licht. Kaum hat das Stück begonnen, wird man von der schlaksigen Gestalt des nervösen und konfusen Horatio (gespielt von Jonas Gygax) in amüsierende Verwirrung versetzt. Gemeinsam mit ihm driftet man in etwas ab, das man selbst nicht zu verstehen vermag, und das von ungeduldigen Schauspielkollegen wie auch dem Lichtteam unterbrochen wird, sodass die eigentliche Geschichte endlich ihren Lauf nehmen kann.

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Der Dänenprinz Hamlet (Wiebke Kayser) kehrt von seinem Studium in Wittenberg an den Königshof in Helsingör zurück - sein Vater, der König, ist unversehens gestorben. In der kurzen Zwischenzeit hat dessen Bruder Claudius (Christian Baus) den Thron sowie Hamlets Mutter Gertrud (Bettina Riebesel) an sich gerissen. Des toten Vaters Geist offenbart Hamlet, dass er vom intriganten Claudius vergiftet worden sei - woraufhin Hamlet heimlich Rache schwört. Mit Argusaugen lässt Claudius ihn jedoch von allen bespitzeln, sodass keinem mehr zu trauen ist. Es beginnt ein Verschwörungsspiel, mit von der Partie auch Polonius (Jörg Dathe), Laertes (David Michael Werner), Reynaldo (Hans-Caspar Gattiker), ja sogar die geliebte Ophelia (Lilli Lorenz). Als Opfer zieht Hamlet im Alleingang in einen Familienkrieg und versucht erst, Wahnsinn vorzutäuschen, um seinen eigentlichen Plan zu verbergen.

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Verstörend schön nimmt das Stück seinen Lauf – bei dem natürlich auch nicht die berühmte «Mausefalle», das Stück im Stück, fehlen darf. Hierbei spielt Hamlet mit seinen Worten auf die Falle an, die er seinem Bruder stellt, indem er ihn durch eine Theatervorstellung mit seinen Taten konfrontiert. Eine Szene, bei der einer – und plötzlich alle – über das Kuckucksnest fliegen: ein Krebspatient aus dem Publikum, der über die Pharmamafia flucht, während Polonius zum Hitler gemalt wird, eine Holländerin auf des Königs Schoss herumhüpft, und ein anderer im Glitzerjäckchen und gelben Zylinder zu rappen beginnt. Die Bühne wird gestürmt, wie sich herausstellt, von Laienspielerinnen und -spielern aus vergangenen Jahren. Ein Chaos, das an Feuchtfröhlichkeit nicht zu toppen ist.

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Und von dem nach der Pause nicht einmal ein Glitzerfünkchen mehr übrig ist – denn jetzt widmet man sich wieder der eigentlichen Düsterheit und Tragödie des Stücks. Hamlets unsägliche Rage und bittere Trauer lösen nämlich ihn – wie auch alle um ihn herum – kontinuierlich von den eigenen Sinnen. Soweit, bis zuletzt keiner mehr steht.

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Mit der aktuellen Version von «Hamlet» wurde eine dramatisch-skurrile Inszenierung geschaffen, leicht gewürzt mit Langatmigkeit. Doch immer dann, wenn Unruhe auf den Plätzen droht, überkommt die Bühne eine ungeheure Rasanz, die einen genau wieder dort hinpflanzt, wo man hingehört - nämlich starr auf des Staunendens Sitz. Berechenbar unberechenbar. Der Rest ist, wie wir alle wissen, Schweigen. Bravo. P.S: Ein Hoch auf diese Windmaschinen!

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Weitere Vorführungen: 11., 16., 18., 24., 29., 31. Oktober, 14., 19., 20., 28. November, 16., 17., 30. Dezember, 08., 17. Januar