Internationaler Lokalspiritus zur Eröffnung

Jazz Festival Willisau, 30.08.2017: Man nehme eine gute Hand Legenden, mische diese mit aufstrebenden Helden und erhalte ein feines Eröffnungsprogramm. So geschehen an der 43. Ausgabe des Jazz Festival Willisau, wo Pink Spider, Le String'Blö und BassDrumBone den diesjährigen Musikreigen einläuteten.

Heiss. Tropisch heiss. Die Atmosphäre in Willisau ähnelte jener schwülen Stimmung in Dürrenmatts «Das Versprechen». Ein Versprechen, das ist auch das diesjährige Programm des hiesigen Jazzfestivals. Internationale Grossformationen und lokale Senkrechtstarter lassen auch in diesem Jahr auf spannende Szenarien hoffen. Da steht also Arno Troxler um 20 Uhr pünktlich auf der Hauptbühne und sagt nach Pink Spider nun den ersten Act des Abends im grossen Festsaal an: Le String'Blö. Applaus, erste Schweissattacken, dann gebanntes Warten. 

Im Zentrum von Le String'Blö stehen die beiden Saxofonisten Sebastian Strinning und Lino Blöchlinger, Sohn vom legendären Urs Blöchlinger. Beide sind sie auch an artsverwandten Instrumenten wie der Bassklarinette oder dem Basssaxofon bewandert, beide an der Luzerner Jazzschule ausgebildet worden. Beim Umsetzen ihrer Kompositionen werden sie von Roberto Domeniconi (p), Christian Weber (b) und Emanuel Künzi (dr) unterstützt. Das Quintett ist hierbei zwar vergleichsweise jung – die Musiker dafür aber umso erfahrener. Domeniconi ist ein Tasten-Tai-Chi-Meister: ruhig und konzentriert, geschmeidig und fliessend. Wenn der Blick von ihm abschweift, verschwindet der Musiker glatt, so fein gliedert er sich in den Bandkontext ein. Weber wiederum bringt das brachiale Element in die Gruppe: Mächtig wie ein Ent steht er hinter seinem Instrument und bearbeitet dieses mit Kräften, wie sie nur ein Kontrabassist seiner Klasse aufbringen kann (und leerte als Folge nach jedem Stück eine Flasche Mineralwasser in einem Zug). Doch was bringt es, wenn beide dieser Ausnahmekönner untergehen im Mix? Sobald die Saxofone loslegen, kommt lautstärketechnisch lediglich noch der kongeniale Künzi mit.

Bild: Marcus Meier

Bild: Marcel Meier

Das ist schade in Anbetracht interessanter, äusserst dichter Kompositionen mit improvisatorischen Einsätzen und zahlreichen Duos sowie Trios, gerade weil Webers Kraft und Domeniconis Finessen ungemein spannende Elemente darstellen. Wenigstens in den ruhigeren Momenten darf man sich an diesen erfreuen. Und ansonsten am Spiel des Schlagzeugers: Künzi ist einer der vielseitigsten Vertreter seiner Garde, egal ob er jetzt bei der Beastie-Boys-Tributeband Beatie Bossy spielt oder mit Lauren Newton und Strinning sowie dem KIMM Trio. Vor allem seine rhythmischen Einsätze gefallen ausserordentlich gut. Da wird gependelt, mal im wilden Swing, dann zu einem launischen Latin-Groove und zurück in einen Hip-Hop-Kracher. Toll! Strinning und Blöchlinger setzen diesen Gegensätzen die Krone auf. Auf der einen Seite der schwedische Siebesiech Strinning: Wilde Soli prägen sein Auftreten, immer mit solch einer Wucht, dass es eine Freude ist. Auf der anderen Seite Blöchlinger, ruhiger, meditativer, überlegter, mit der richtigen Menge an Space und Spiritus. In der Summe ergab das trotz des schlechten Mixes ein überzeugendes, gutes Eröffnungskonzert, für das sich der Besuch in Willisau bereits zu Beginn lohnte. Nur ansagetechnisch, da haperte es noch – liess sich da Strinning von Arno Troxler inspirieren? Knapper geht's nimmer! 

Marcel Meier

Bild: Marcel Meier

Da nehme man sich ansagetechnisch ein Vorbild an den Amerikanern. Beispielsweise bei BassDrumBone, dem Trio um Mark Helias (b), Gerry Hemingway (dr) und Ray Anderson (dr). 40 Jahre spielen diese drei Freunde schon zusammen, und der Ausdruck «The Rolling Stones of Jazz» könnte hierbei passender nicht sein. Mit dieser Bezeichnung geimpft, erschien Anderson visuell plötzlich wie ein Bruder Mick Jaggers, Hemingway könnte mit Charlie Watts verwandt sein ... Nur Mark Helias visuelle Linie entspricht weniger den Stones, sondern eher jener von Schiedsrichterlegende Pierluigi Collina. Der Bassist als Schiedsrichter zwischen Harmonie und Rhythmus: auch ein Weg, die Interpretationen anzugehen. Bereits zum fünften Mal spielt diese Truppe in Willisau, etliche weitere Male waren die einzelnen Musiker schon mit anderen Gruppen hier – und die Lust scheint ihnen nicht vergangen zu sein – im Gegenteil. Spass hatten sie, die drei Stars, die sich des Öfteren wie Schulfreunde neckten, auf der Bühne lachten und während den Ansagen bestens gelaunt Schabernack trieben. Beispielsweise, als Hemingway bereits das Stück einzählte, während Anderson noch die Posaune kontrollierte; gut, dann wartet der Drummer halt und kommentiert das Treiben mit dem typischen Hemingway-Humor.

Bild: Marcus Meier2

Bild: Marcel Meier

Abseits der Ansagen boten BassDrumBone ein stimmiges Set mit vielen Songs der neuen Platte «The Long Road», auf der unter anderem auch Jason Moran (p) und Joe Lovano (reeds) mitspielen. Hierbei faszinierte das souveräne und solide Spiel dieser drei Urgesteine, die mit einer Selbstverständlichkeit ihre Erfahrungen als Gruppe in das Spiel einwoben. Wie ein heisses Messer durch Butter solierte und improvisierte das Trio, 40 Jahre Spielfreude at its best. Trotzdem wirkte das Set zu Beginn etwas zahm, mit Ausnahme der Hemingway-Komposition «Another Time» ging es sehr traditionell zu und her. Mit «Oh Yeah» drehten BassDrumBone aber auf. Anderson ging im Vorfeld dieses Songs auch auf die schwierige Situation in Amerika ein und bezeichnete das Stück, das er mit vokalen Einsätzen untermauerte, als positive Einstellung gegenüber schrägen Vorkommnissen in einem gewissen Land im Westen. In der Folge liess sich auch das Publikum zu «Oh Yeahs» hinreissen. Und das muss ein Konzert auch enthalten: Die Verbindung von Publikum und Musizierenden. 

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Bild: Marcel Meier

Magisch wurde es dann auch noch, und zwar zu jenem Zeitpunkt, als just im Startmoment eines ganz feinen Hemingway-Solos Starkregen einsetzte. Da prasselte es auf das Dach, mucksmäuschenstill dazu die Menschenmenge. Und dann der Donner – könnte sich ein Drummer eine bessere Perkussionseinheit als Mutter Natur wünschen? Hemingway dankte mit einem Stossgebet gen oben. Solche Momente tragen einiges dazu bei, dass das Jazz Festival Willisau nach wie vor Weltspitze ist. Dementsprechend vorwärts und freudig-gespannt werden die kommenden Konzerte erwartet, die noch bis Sonntagnachmittag stattfinden. Egal, ob bei schwülem oder regnerischen Wetter. 

 

Das Jazz Festival Willisau dauert noch bis und mit SO 03.09.2017. Der Kulturteil berichtet ab morgen über alle Konzerte in einem stetig aktualisierten Blogeintrag genau hier.

Titelbild: Jazz Festival Willisau