«Ich bin leider schnell gelangweilt»

Annette von Goumoëns ist in Luzern vor allem als Produktionsleiterin bekannt. Bei «Anatomie der Angst», das mit der selektiven Produktionsförderung des Kantons Luzern ausgezeichnet wurde, übernimmt sie die künstlerische Leitung. Lokale Kulturschaffende nähern sich der Angst in einem laborhaften Erarbeitungsprozess, der mit herkömmlichen Theaterproben, die ein Endprodukt zum Ziel haben, nicht mehr viel gemein hat.

 

Was sind die Herausforderungen bei einem Stück, bei dem es nur um den Erarbeitungsprozess und nicht um das Endprodukt geht?

Die grösste Herausforderung ist, sich das Endprodukt immer wieder aus dem Kopf zu schlagen. Wir haben uns im Kollektiv verboten, während dem Ausprobieren szenischer Ideen an ein Endprodukt zu denken. Wir wollen uns auf den laborhaften Charakter des Projekts konzentrieren und uns nicht von der Zensur einschränken lassen, die ein beabsichtigtes Endprodukt automatisch mit sich bringt.

Wie macht ihr das bei der Erarbeitung des Stücks?

Meistens hören wir dort im Prozess auf, wo wir das Potential einer szenischen Idee bestätigt sehen. Einige von uns tun sich schwer damit, Dinge loszulassen, bevor sie «richtig fertig» sind. Das ist eine Art déformation professionelle, alles immer so auf den Punkt bringen zu wollen, dass man es vor einem Publikum behaupten kann.

Stösst man da auf Hürden bei der Eingabe um finanzielle Zustüpfe?

Die verschiedenen Fördertöpfe wollen alle wissen, in was sie ihre finanziellen Mittel investieren. Deswegen sind die Vorgaben in Bezug auf einzureichende Dossiers so angelegt, dass fast immer die Idee und die künstlerische Absicht dahinter ausformuliert werden müssen. Der umfangreichste Teil eines Dossiers nimmt dann jeweils das Umsetzungskonzept zu besagten Absichten ein.

Was ist daran schlimm?

Ich tue mich schwer mit Umsetzungskonzepten, weil sie von mir erwarten, dass ich den Weg von der Idee bis zum beabsichtigten Endprodukt möglichst plausibel und interessant aufzeigen kann und zwar zu einem Zeitpunkt, wo ich noch nicht einmal weiss, ob ich überhaupt genügend Geld werde auftreiben können, um die Umsetzung, die ich da gerade behaupte, auch wirklich vom Dossier in die Realität zu bringen. Mich engt dieses Nägel mit Köpfen machen zu müssen, zu einem Zeitpunkt, wo ich eigentlich nur meinen Hirngespinsten nachgehen möchte, ziemlich ein.

Hinkt die Förderung also hintennach, wenn man immer bereits sagen muss, welches Endprodukt am Ende da steht?

Ich finde ja! Meiner Meinung nach ist die Prozesshaftigkeit, also die Art und Weise, wie man Stücke entwickelt und erarbeitet, eine der Stärken der freien Szene. Somit sollte auch diese Stärke im Besonderen gefördert werden. Die öffentliche Hand in Zürich, Bern, Basel und auch im Aargau vergeben sogar Recherchenbeiträge und finanzieren so die Vorarbeit zu Produktionen, bei denen vielleicht erst eine vage Idee existiert oder sogar bloss ein Thema feststeht. Hier in Luzern haben wir in der freien Szene nicht die Zeit, einem Thema so richtig auf die Spur zu kommen, aus vagen Ideen konkrete Ideen zu entwickeln oder Dinge auszuprobieren, denen das Risiko des Scheiterns anhaftet. Wir haben die Zeit nicht, weil wir das Geld dafür nicht haben. Wir müssen in vier Wochen eine Idee auf den Punkt und zur Premiere bringen. Da bleibt einfach sehr viel Kreativität auf der Strecke.

Ist das etwas, was nur auf Luzern zutrifft?

Das trifft auf alle Städte zu, die nicht über grosse Budgets für die freie Szene verfügen. Luzern, oder besser gesagt die Kulturförderung des Kantons Luzern, ist da aber am umdenken. Dass «Anatomie der Angst», ein Projekt, das sich ja über seinen Laborcharakter definiert, vom Kanton einen grosszügigen Produktionsbeitrag bekommen hat, ist fast so etwas wie ein kleiner Meilenstein in der Geschichte der öffentlichen Kulturförderung. Ich hoffe sehr, dass die Stadt und auch die Regionale Kulturkonferenz Luzern da bald nachziehen werden und vermehrt Projekte fördern, bei denen der Arbeitsprozess und nicht das Endprodukt im Zentrum stehen.

Ist Angst ein (zu) ernstes Thema?

Nein! Angst ist ein «banales» Thema. Man kann es aber durchaus mit übertriebenem Ernst angehen. Genauso gut kann man es aber auch mit einer Art kreativen Neugier angehen. Die kreative Neugier an der Angst ist bei «Anatomie der Angst» der Grundmotor. Neugier stellt ja gerne Fragen und wir angeln uns thematisch auch an zwei Fragen entlang: Was kann die Angst, ausser Angst zu machen, sonst noch so? Und wie kann man das, was die Angst sonst noch so kann, szenisch verwerten?

In den Pressetexten zum Stück betonst du immer wieder, dass mit dem Stück auch der Begriff der «freie Theaterszene» thematisiert oder in Frage gestellt werden soll. Weshalb und was ist das eigentlich, «frei», in bezogen auf das Theater?

Ich habe mich einfach gefragt, ob das Wörtchen «frei» im Begriff «freie Szene» wirklich noch etwas zu suchen hat. Die so genannte freie Theaterszene ist ja als Reaktion auf die Zwänge im etablierten Theaterbetrieb entstanden und hat sich sehr bewusst in vielerlei Hinsicht von ihm abgegrenzt. Mir ist aufgefallen, dass sich Theaterproduktionen in den letzten Jahren vermehrt beim etablierten Theaterbetrieb bedienen und zwar in Bezug auf die Themen, die Inhalte, die Umsetzungsprozesse und die Ästhetik. Für mich ergibt es wenig Sinn, in der freien Szene Stücke zu erarbeiten, die der etablierte Theaterbetrieb aufgrund seines Budgets mit der grossen Kelle anrichten kann. Die freie Szene hingegen hat, was die Produktionsbudgets angeht, meist nur kleine Löffel zur Verfügung. Sie sollte sich deswegen überlegen, was ein kleiner Löffel besser kann als eine grosse Kelle.

Hast du Angst davor, dass «Anatomie der Angst» in die Hose geht?

Nein, eigentlich nicht. Wir erlauben uns mit dem Projekt ja auch zu scheitern. Und wir erlauben dem Publikum, uns dabei zuzusehen, wie wir scheitern, sollten wir wirklich scheitern. Wir versuchen, Theater auf eher unkonventionelle Art und Weise zu entwickeln und probieren ziemlich viele Dinge aus, von denen wir keine Ahnung haben, ob sie im «Ernstfall» funktionieren. Da kann Einiges schief laufen, was mich ganz ehrlich gesagt auch ein bisschen freuen würde. Ich will mit dem Projekt «Anatomie der Angst» niemandem etwas beweisen. Ich will dabei etwas lernen für spätere Projekte, in denen ich dann wieder etwas beweisen will.

Wovor hast du selber Angst?

Ich bin leider ziemlich schnell gelangweilt und brauche die Dinge deswegen in einer manchmal fragwürdigen Intensität. Das braucht viel Kraft und die kann man ja bekanntlich nicht einfach so aus dem Boden stampfen. Ich lebe also oft mit der Angst, dass meine Kräfte nicht ausreichen, für das, was ich wirklich will.

Am SA 11. Februar um 16, 19 und 22 Uhr finden im Südpol Luzern drei Vorstellungen statt, bei denen das erste Ergebnis der bisherigen Arbeit gezeigt wird. Die Vorstellung um 16 Uhr ist ausverkauft. Tickets erhältlich unter www.sudpol.ch. Die nächsten öffentlichen Vorführungen finden am 29. April im Kleintheater statt.

 

Infos zum Stück:

«Anatomie der Angst» ist ein interdisziplinäres und szenisches Langzeitprojekt, worin sich die Luzerner Künstlerin Annette von Goumoëns gemeinsam mit lokalen Kunstschaffenden aus diversen Sparten der Angst widmet. Es ist eines von drei Theaterstücken, das vom Kanton Luzern im Rahmen der neuen Förderstrategie mit einem Produktionsbeitrag von 40'000 Franken unterstützt wird.