Hochprofessionell und ein wenig einfallslos

Anna Huber ist eine der meist geschätzten Tänzerinnen im Land. Soeben wurde bekannt, dass der diesjährige Schweizer Tanz- und Choreographiepreis 2010 an sie geht für ihr bisheriges Werk. Gestern Abend war sie zusammen mit dem Klavierduo Huber/Thomet im Südpol zu sehen.

«Dr Summer isch vrbii es isch es heisse Summer gsii u es isch viu passiert u d' Wäut drääit sech no geng ...» Züri West Nun geht's also wieder los. Vor dem Südpol-Eingang weisen die Plakate mit «Tasten», dem Programm von Annahuber.compagnie drauf, hinters Haus. Geht man gradeaus, gelangt man in die Installation «Raumreiberei» (siehe Bild) von Katharina Anna Wieser (Projektleitung Nadine Wietlisbach). In diesem Werk machte sich die Künstlerin mithilfe von Holz und Licht Gedanken darüber, welche Funktion Zimmer in unseren Häusern haben, von welchen Einflüssen ihre Atmosphäre geprägt ist. Die Installation ist in drei Akte (Morgen, Abend, Nacht) eingeteilt. Ich bin alleine. Setzte mich auf den einzigen Stuhl im Raum an der hinteren Wand. Die verschiedenfarbenen Hölzer in der grossen Platte verschwimmen zu dreidimensionalen Kuben. Ich fühle mich an diesen Raum in Twin Peaks erinnert. Den gekachelten mit dem roten Vorhang und dem Zwerg. Irgendwann wird es Zeit. Ein begnadeter Koch, Geschichtenerzähler und Stepptanzmitweltrekordbrecher bemerkte einst, Tanzen sei ein ewiger Kampf gegen die Schwerkraft, den man einfach verlieren müsse. Wie auch immer. Die Show beginnt. (So viele Leute hab ich glaubs noch nie in der Shedhalle gesehen ...) Die grosse Halle ist beinahe auf den letzten Platz gefüllt, was einerseits für die Bekanntheit von Anna Huber spricht, und andererseits zeigt, dass das Lucerne Festival läuft. Eine Burg aus Flügeln (die, auf denen man spielt), Tüchern und Platten starrt ins Publikum. Das Pianoduo legt mit György Ligetis «Monument» los. Anna Huber windet sich in einem schwarzen Kokon unter den Tüchern raus, schliesslich entledigt sie sich ihrer Hülle. Was folgt ist ein beinahe anderthalbstündiger Reigen aus Bildern, Bewegungen und Kompositionen. Die Bilder sind mal stärker, mal weniger, die Bewegungen exakt, die Kompositionen u.a. Rachmaninoff, Schumann und Uraufführungen von Isabel Mundry und Martin Schütz virtuos interpretiert. Aber der Funke springt nicht wirklich. Was einerseits an den (teilweise komödiantischen) Einlagen – beispielsweise das Veräppeln des Verbeugens nach dem Auftritt – liegt, bei denen Susanne Huber und André Thomet mitwirken. Sie machen das nicht schlecht, es gibt einfach einen evidenten Unterschied zur Profitänzerin. Schon nur in der Art der Bewegung, der Körperspannung. Andererseits finde ich das Programm «Tasten» – gelinde gesagt – etwas einfallslos und anbiedernd. Man zeigt auf der Bühne etwas, das schön ist, etwas bei dem garantiert niemand Anstoss nimmt. In seichten Gewässern tuckern, Kunststückchen zeigen – allerdings auf sehr hohem Niveau – ein wenig schöne Musik, irgendwann noch a bisserl Schumann, ein Spot-Scheinwerfer – ein alter Hollywoodschinken anno 2010. Jede Bewegung akkurat, zur rechten Zeit am rechten Ort. Spiele mit Schatten auf räumlich verschobenen Leinwänden. Steril einerseits, dann wieder nah am Klamauk vorbeiwummsen. Wenn das nur nicht so lange gegangen wäre, wenn die Tänzerin mit ihrer grossen Compagnie nur nicht solche Vorschusslorbeeren gehabt hätte, die die Erwartungen hoch geschraubt haben. Aber es ist lange gegangen. Und wenn ich das Projekt mit lokalen Tanzproduktionen wie den letzten Projekten von Irina Lorez & Co oder Beatrice Im Obersteg vergleiche, fällt «Tasten» trotz dem grösseren Saal, dem zahlreicheren Publikum, der hochgebildeten künstlerischen Entourage, dem aufgeblaseneren Budget, doch deutlich ab. Vielleicht auch, weil sich Anna Huber nichts mehr beweisen muss ...

Eine weitere Aufführung von «Tasten» findet am Samstag, 4. September, im Südpol statt. Wer sich für die Installation «Raumreiberei» interessiert, kann diese am Freitag 3. September (17 bis 20 Uhr), am Samstag 4. September (18 bis 21 Uhr) und am Sonntag (ab 12 Uhr) besichtigen. Am Samstag findet um 21 Uhr eine Performance statt, mit u.a. Isa Wiss, Marc Unternährer und Julian Sartorius.