Hippiekacke oder als Drogen-Papst Leary in Luzerner Beizen hockte

Atelier Blank & Chiovelli, Donnerstag, 24.5.2012: Material, das locker für ein ganzes Vorlesungs-Semester Vorlesungen reichen würde, so die Einschätzung von Veranstalter P.H. zum Gebotenen. Pirmin Bossart tauchte überaus kundig und mit grosser Anschaulichkeit in den kulturellen Underground und brachte Trouvaillen aus dem Schweizer Hippietum zutage.

Die Hippie-Bewegung, in den USA ein Mitte-Sechzigerjahre-Phänomen mit dem (musikalischen) Höhepunkt Monterey anno 1967, ist, wie so vieles, mit Verspätung in der Schweiz angelangt. Pirmin Bossart datiert die CH-Hippie-Hochzeit in die Jahre 1969–1973. Und bringt gleich eine Platte zu Gehör: The Sevens, eine Beatband. Nach Beat kam Underground, nicht selten mit psychedelischer Schlagseite. Die Vinyl-LPs werden heute auf Ebay für mehrere 100 Franken gehandelt. Ein paar Namen: Shiver, Brainticket, Ertlif, Grünspan.

Bald eine veritable Trouvaille: Bootleg-Aufnahmen aus dem Hallenstadion Zürich, 30. Mai 1968. Jimi Hendrix spielt, und nach einer Weile kommt ein Speaker zu Wort, der das geneigte Publikum ermahnt, «bitte keine Bierdeckel auf die Bühne zu werfen» und doch ruhig zuzuhören. Bevor Pirmin auf drei Schlüsselpersonen des Schweizer Undergrounds eingeht, nennt er erst den Namen René E. Müller, «eine Art Urfreak», der noch einen gewissen Jack Kerouac in London getroffen hatte und lange Jahre bevormundet war (gestorben 1991). Friedrich Dürrenmatt hat den Berner Vagabunden, der dichtete, immer wieder mal finanziell unterstützt. Der internationale Netzwerker der Bewegung ist Urban Gwerder. Man kann ihn als Autor der Linernotes einiger Stiller-Has-Alben kennen. Viele Jahre zuvor wird er zu einer Art Hofarchivar von Frank Zappa, er gibt ab 1968 die Zeitschrift «Hotcha» heraus, ist selber Pionier von Spoken Word, Darsteller in Fredi M. Murers frühem Experimentalfilm «Chicorée» (1966), Älpler/Bergbauer – und «Sänger». Wieder eine Trouvaille: Gwerder hatte mit Musikern an Handorgel, Geige, Gitarre und Klarinette eine Schweizerdeutsche Coverversion des Songs «Supergirl» der New Yorker Undergroundband The Fugs aufgenommen, die es in einschlägigen US-Sendern zu Kulturstatus und Heavy-Rotation brachte! «Wundermeitli»! Nächster Name: Sergius Golowin (1930–2006), Berner Mythenforscher und seines Zeichens Kontaktperson zu Timothy Leary bei dessen Schweiz-Aufenthalt Anfang der 1970er-Jahre. Leary, Ex-Professor in Harvard, war der prominente Propagandist von LSD und befand sich damals auf der Flucht, weil die USA ihn zum Staatsfeind Nummer eins erklärt hatten. In der Schweiz stellte Leary vergeblich ein Asylgesuch und fand Unterschlupf an verschiedenen Orten. Unter anderem weilte er in einem Ferienhaus in Immensee und er soll in Luzern in der damaligen Szenebeiz «Pfistern» verkehrt haben. Später gab Leary zu Protokoll, er habe «alle 49 Hippies kennen gelernt, die es in der Schweiz gibt».

Schliesslich «das Urviech» Anton Bruhin (*1949), bildender Künstler, Dichter, Musiker, heute vor allem bekannt als Trümpi-Spieler. 1970 brachte der gebürtige Schwyzer «eines der wohl schrägsten Schweizer Alben» heraus. Aus «Von Goldabfischer» (2008 auch als CD erschienen) gibts aufschlussreiche Müsterchen: Jenseitige Mundart-Singer-Songwriterei mit dem Charme des Ungehobelten. Weird Folk avant la lettre. Geschichtsstunden wie diese über das Schweizer Hippietum aus einer längst vergangenen Zeit täten auch einer Uni zur Abwechslung ganz gut.