Hinter der Wohlanständigkeit

Englisches im Nidwaldernischen: Das Theater Stans bringt Alan Ayckbourns komisches «RollenSpiel» aus der «Verfolgte Unschuld»-Trilogie in einer Mundartfassung von Regisseur Ueli Blum auf die Mürg-Bühne. Es kratzt unter der Oberfläche der bünzlihaften Wohlanständigkeit.

Autor Alan Ayckbourn (*1939) ist ein überaus produktiver Altmeister der britischen Theaterkunst und für seine bühnenkünstlerischen Leistungen auch geadelt (Ernennung zum «Sir» 1997). «RollenSpiel», von Regisseur Ueli Blum in Mundart übertragen, ist Teil der Stück-Trilogie «Verfolgte Unschuld» («Damsels In Distress»), 2001 uraufgeführt. Natürlich ist «RollenSpiel» nicht nur sprachlich angepasst, sondern auch geografisch. Es spielt am Vierwaldstättersee. Die Wohnung von Christian «Chregu» Graf (Markus Omlin), wo seit sechs Monaten auch Elisabeth «Lise» Huber (Franziska Stutz) lebt, ist von seltener Grosszügigkeit: Eine riesige hohe Fensterfront lässt den Blick frei aufs Alpenpanorama, links eine wohl assortierte Bar, rechts ein Knautschleder-Sofa samt designhistorischem Beistelltisch (Eileen Grays Adjustable Table E 1027). Da und dort diverses Grünzeug (Bühne: Adrian Hossli). Es blitzt und donnert und schüttet draussen (richtiges Wasser). Man ist in Erwartung, und es herrscht eine Aufgeregtheit: Lises Eltern und Chregus Mutter mit «Überlebensabschnittspartner» kommen zum Znacht, man soll sich kennen lernen. Und Chregu soll verkünden die Verlobung und auch gleich den Hochzeitstermin in drei Monaten. Als ihm seine Liebe eine neue Idee auftischt: Sie ziehe wieder zurück in ihre Wohnung bis dahin, und auch der Sex soll warten. Drei Monate Entsagung!

Was die jungen IT-Yuppies – er Softwaredesigner, sie Programmiererin – charakterisiert, sind Pingeligkeit und viel Bünzligkeit. Wenns nicht klappt, wird man (d.h. sie) schnell hysterisch. Alles muss zum Besten bestellt sein. Eine Gabel lässt sich partout nicht auffinden, sodass Lise eine suchen/kaufen gehen will. In der Zwischenzeit plumpst buchstäblich Pola Petite (Jana Avanzini) vom obersten Stock herab und in die wohlanständige Kulisse. Pola war Tänzerin (nicht klassisch, mehr Cabaret), hat einen gerade abwesenden rasend eifersüchtigen Freund, der ihr in Gestalt von Ex-Boxer Mike (Ruedy Lussy) einen Aufpasser zur Seite stellt. Das kann ja heiter werden: Zwei Halbweltgestalten in der guten Stube und die Eltern, die jeden Moment eintreffen sollen. Sie kommen denn auch. Urs (Albert Müller) und Uschi Huber (Edith Pichler) bringen einen Gartenzwerg mit. Sie nennen Elisabeth, ihre jüngste und einzig wohlgeratene Tochter (die eine lesbisch in Kanada, die andere mit einem Chinesen verheiratet), «Öpfeli» (während sie von Christian urplötzlich vor den Eltern mit «Elisabetha» angeredet werden wollte). Er ist Kleingewerbler aus dem Säuliamt (Gartencenter in AG und ZH) und sucht einen Erben (der Christian heissen würde). Sie gigelt wegen jeder Belanglosigkeit. Auch Vater Huber ist ein Scherzkeks mit ins Leere laufenden Witzeleien. Mutter Graf (Maja Schelldorfer) kommt allein, weil ihr auf dem Weg von Balsthal in die Innerschweiz ihr angetrunkener schottischer Geliebter abhanden kam. Sie selber ist aber auch ein tüchtiger Schluckspecht, der sich keinen Namen nennen kann und Pola mit Lise als Schwiertochter in spe verwechselt.  Eine traute Runde ist es nicht. Noch ist von einer Eskalation allerdings nichts zu spüren. Statt zu reden (die Verlobungsankündigung), singt Chregu «It’s a long way to Tipperary» (die anderen setzen ein). Am Schluss wird Mike Mutter Graf im entwendeten Lieblingswagen seines Chefs nach Balsthal begleiten. Chregu fleht Pola an: «Bitte nimm mich mit. Ich sitze hie i de Falle.» Und so gehen sie gemeinsam von dannen. Urs und Uschi sind allein der Wohnung, als zwei massige schwarze Bodies erscheinen … Wer hat die Schlacht «Bünzli vs. Bünzli» gewinnen? Sieg der Vernunft? Fragen zu einer flotten Komödie voller Dialogwitz. Die sich allerdings nie ganz bitterbös ins Abgründig-Groteske ausweitet, wie aktuell Vergleichbares wie «Der Gott des Gemetzels» (alias «Carnage», von Yasmina Reza) es tut.

Theater Stans: Verfolgte Unschuld – RollenSpiel, Aufführungen bis 31. März