Held oder Antiheld?

Zeughaus «I der Sänti» Willisau, 26.05.2015: «Was ke Afang hed, hed ou kes End.» Reto Ambauen inszeniert in Willisau die Heldengeschichte des Parzival und hält damit dem Publikum einen Spiegel vors Gesicht – Wer bin ich und wer hat mich zu dem gemacht? Zeitlose Fragen nach Identität und die Suche nach der eigenen Geschichte treffen sowohl im Mittelalter, wie auch in der Gegenwart aufeinander. Gesellschaftskritik vor weissen Wänden in bunten Kostümen – noch bis am 20. Juni!

(Bilder: Stefan Tolusso)

Reto Ambauen inszeniert den Mythos des jungen Mannes, der nichts über das Leben weiss und somit von Fettnapf zu Fettnapf stolpert, in einem steril weissen Raum und belebt diesen im gleichen Zug mit farbenfrohen Kostümen, die gleichzeitig historisch wie futuristisch wirken. Die uralte Geschichte, nacherzählt von Wolfram von Eschenbach und von Lukas Bärfuss in eine zeitlich angenehmere Theaterform transformiert, erzählt von Parzivals Vater, einem Ritter, der im Kampf stirbt und von dessen Frau, die, um ihr Kind vor dieser Gefahr zu bewahren, beschliesst, dass sie es alleine gross ziehen würde, im Wald, abgeschottet von der Welt, jeglicher Empathie, Gewissen und Moral. Die einseitige Erziehung macht aus dem Jungen einen Menschen mit einem Herz aus Stein, zu einer Schande der Menschheit: «En Mönsch ohni Metleid chan niemerd bruche!»

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Parzival versucht sich loszureissen und bricht auf, auf in eine Welt, die ihm nicht nur fremd ist, sondern ihn masslos überfordert und zuletzt regelrecht um den Verstand bringt – den Verstand, den er nie zu haben schien. Man bezeichnet ihn als Fürst der Gemeinheit, wo immer er ankommt, stets fällt er mit seinem Unwissen und seiner Skrupellosigkeit auf die Knie, überall nennt man ihn einen Dummkopf und Mann ohne Ehre. «Ech wott d’Wält verstoh!» stammelt er irgendwann verzweifelt und äussert mit diesem Satz den Kern der Geschichte. Diese Worte beschäftigen jedoch nicht nur den Charakter Parzival, sondern treffen damit ebenfalls zweifelsohne den heutigen Zeitgeist. Jahrhunderte vergehen, Gesellschaften entwickeln sich und doch bleiben die Ur-Themen dieselben. Fragen nach Identität und dem Platz in der Gesellschaft begegnen uns in der Gegenwart wie im 13. Jahrhundert – wer formt wen und inwiefern kann ich auf diesen Prozess Einfluss nehmen? Reto Ambauen verpackt dieses Streben nach Entfaltung und die Suche nach dem ‚Ich’ geschickt in ein Stück, das einerseits eine verstaubte Rittergeschichte erzählt und doch brandaktuell ist – völlig unabhängig davon, wo man im Leben gerade steht. Auf der Bühne im Zeughaus stehen junge Menschen, Mitglieder des Jugendtheaters Willisau gleichwohl wie ältere Spieler und zusammen begehen sie sich auf Parzivals Spuren.

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Das Stück wirkt wie eine perfekt komponierte Abfolge an Bildern, Bilder die oft in chorischen Szenen entstehen und wahnsinnig starken Ausdruck haben – nicht zuletzt dank der tollen Bühne von Valérie Soland Egger, Rita Bieris und Ems Troxlers überragenden Kostümen und der Maskenarbeit von Anna Maria Glaudemans, welche das eigentliche Spiel in manchen Momenten regelrecht überstrahlen. Unterstützt und gebrochen wird diese fast künstliche Ästhetik, die übrigens stark an die Werke von Robert Wilson erinnert, durch die musikalischen Klänge von fünf Musikern, welche die von Christov Rolla komponierten Melodien live erzeugen. Unterstützend wirkt die sehr gelungene musikalische Komponente im Sinne der absolut passenden Unterstreichung des prunkvollen Geschehens auf der Bühne und als Bruch dort, wo sie den Zuschauer weg von der Gegenwart wieder zurück ins Mittelalter katapultiert, oder zumindest Assoziationen daran hervorzurufen vermag. Nach knapp zweieinhalb Stunden findet sich das Publikum jedoch, gleichwohl ob es gerade von der Zukunft, oder aus der Vergangenheit zurückgeholt wurde, wieder auf dem Theatersessel im Hier und Jetzt – vollgetankt mit unzähligen Impressionen, berührt von kleineren oder grösseren Reizüberflutungen und stets mit der Frage im Kopf, wer wir denn sind und was uns zu dem macht.

Weitere Spieldaten: DO 28., SA 30. und SO 31. Mai sowie MI 3., FR 5., SA 6., DI 9., DO 11., SA 13., SO 14., MI 17., FR 19. und SA 20. Juni (Dernier). Werktags um 20 Uhr, Sonntags um 17 Uhr.