Hassan Taha / Ensemble Brunnen & Brücken – Alrozana – الروزانا

PlattenWechsler: Zeitgeistiges interkulturelles Marketingkonzept oder tiefgreifende Auseinandersetzung? Der Musikethnologe Dieter Ringli hat sich für «041 – Das Kulturmagazin» und null41.ch kritisch mit dem Tonträger auseinandergesetzt.

Mit der Verbindung von verschiedenen Musikkulturen ist es so eine Sache: Zwar zeugen solche Fusionen vordergründig von gegenseitigem Respekt und Interesse, bei genauerer Betrachtung bleibt aber oft eine gewisse Ernüchterung, weil man sich ganz einfach auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner trifft, ohne sich mit der jeweils anderen Musik vertieft auseinandergesetzt zu haben.

Dass das Ganze dann mit hanebüchenen Pressetexten garniert wird, macht die Sache auch nicht besser. Wenn – wie im vorliegenden Fall – trotzdem spannende Musik entsteht, liegt das meist nicht an der Intensität der Auseinandersetzung, sondern schlicht an der Qualität der beteiligten Musikerinnen und Musiker. Und die ist hier beachtlich: Hassan Taha ist nicht nur ausgebildeter Komponist, sondern auch ein brillanter Oudspieler. Die beiden Vokalistinnen sind hervorragend. Die an der Musikhochschule Damaskus ausgebildete Sängerin Najat Suleiman beeindruckt durch vielfältiges Timbre und die Schweizer Sängerin Barbara Berger hat nicht nur eine klassische Gesangsausbildung in Bern absolviert und in experimentellen Bereichen gearbeitet, sie ist auch seit Jahrzehnten eine herausragende Jodlerin. Nayan Stalder ist ein ausdrucksstarker und einfühlsamer Hackbrettvirtuose, der an der einzigen Schweizer Musikhochschule mit Volksmusikabteilung studiert hat, ebenso wie Kristina und Evelyn Brunner an Schwyzerörgeli und Kontrabass die auch seit Kindheit erfahrene Ländlermusikantinnen sind. Da entsteht viel feinziselierte, stimmige Musik, die zu hören sich lohnt.

Das «Album Alrozana – الروزانا» des Syrischen Komponisten Hassan Taha mit dem zehnköpfigen Ensemble «Brunnen und Brücken» unter der Leitung von Hans Martin Stähli geht zurück auf ein Projekt, das anlässlich der Zürcher «Stubete am See» 2016 aufgeführt wurde und hat zum Ziel, schweizerische und syrische Volksmusik zusammenzubringen. Das weckt Neugier und es vereinfacht die Finanzierung, da interkultureller Austausch im Fokus der Kulturförderung steht, worauf auch der Begleittext abzielt: «So steht der Name des Ensembles <Brunnen & Brücken> als Metapher für eine lebendige und völkerverbindende Kommunikation, gleichsam getragen vom Urelement Wasser: Die Liedarrangements sprechen eine innige und subtile Sprache in der Verbindung von orientalisch-modalem Stil (das Fliessen des Wassers) mit der «bodenständigen», funktional-harmonischen Musizierweise schweizerischer Volksmusik (die Brückenpfeiler).»

So ist es denn gelungen, ein hochkarätiges Patronatskomitee zusammenzustellen mit Bundesrätin Simonetta Sommaruga an der Spitze. Das ist auch nötig, denn die Produktion war teuer. Klassische Musiker und Musikerinnen sind sich gewohnt, sowohl Kompositions- als auch Probenarbeit zu verrechnen, was die Kosten entsprechend in die Höhe schnellen lässt. Wie steht es denn aber wirklich mit dieser Verbindung der unterschiedlichen Volksmusikpraktiken? Am besten funktioniert das Ensemble dort, wo sich die beiden Kulturen am wenigsten in die Quere kommen. Und Volksmusik hören wir nirgends. Was wir zu hören bekommen, ist die Auseinandersetzung eines klassisch ausgebildeten Komponisten mit Themen der Volksmusik. Hassan Taha ist ja nicht nur ein Kenner der arabischen Musik (Studium von Oud und Horn in Damaskus), sondern auch der europäischen Kunstmusik (Studium zeitgenössischer Musik in Maastrich und Komposition an der Hochschule der Künste in Bern.) Von einer vertieften Auseinandersetzung mit der Schweizer Volksmusik ist nichts zu hören, da helfen auch oberflächliche Klangklischees wie Kuhglocken und Alphorn nicht. Man wird den Eindruck nicht los, dass der Mann zwar sein Handwerk beherrscht, er aber genauso gut schwedische oder italienische Volksliedmotive verwenden könnte – und das Resultat wäre nicht wesentlich anders herausgekommen. Das ist dann weniger Ausdruck von Verständnis oder Respekt, sondern schlicht der Überheblichkeit des Kunstmusikers gegenüber der traditionellen Musik.

Zweifel kommen auch auf bei der Auswahl der Stücke: «S isch abe e Mönsch uf Ärde» ist wohl das bekannteste und meistaufgenommene Volkslied der Schweiz. «Es isch kei sölige Stamme» hat Rolf Liebermann schon 1947 für Orchester umgesetzt, ist ein Klassiker der ländlichen Laienchorszene und der Neuen Volksmusik (in den letzten zwei Jahrzehnten in chronologischer Reihenfolge von Dide Marfurt mit Echo, von Pflanzplätz, Folka und von Christina Fuchs eingespielt, um nur die wichtigsten zu erwähnen.) «Stets i Truure» haben Polo Hofer und die Rumpelstilz in den 1970ern einem grossen Publikum zugänglich gemacht.

«Lueget vo Bärge und Tal» ist fast so etwas wie die inoffizielle Landeshymne geworden. Und «Es taget vor dem Walde» schliesslich ist zwar in Otto von Greyerz’ Röseligarten – der Bibel des Schweizer Volkslieds – verzeichnet, aber auch in allen grossen Sammlungen des deutschen Volkslieds seit Ludwig Erk 1856.

Ähnliches gilt für die arabischen Stücke. «Ya tera tiri» und «Hal asmar ellon» gehören zu den meistaufgenommenen Liedern aus der Gegend. Auf der Materialebene ist die Auswahl also wenig überraschend und bietet keine Entdeckungen. Natürlich kann man sagen, das seien eben die Standards der jeweiligen Volksmusiken, die immer wieder neu interpretiert werden sollen, ebenso wie die Standards im Jazz. Dann muss aber angemerkt werden, dass beispielsweise die Version von «Hal asmar ellon» der Syrerin Lena Chamamyan in ihrer Fusion von Jazz und arabischer Musik von 2006 wesentlich spannendere Auseinandersetzung zwischen den Kulturen bietet, als die Fassung des Brunnen-und-Brücken-Ensembles. Nebenbei sei auch bemerkt, dass alle arabischen Stücke auf der CD bereits vor Jahren von Lena Chamamyan in Ost-West-Fusion-Fassungen aufgenommen wurden. Auch hier also nichts Neues unter der Sonne.

Ein Ärgernis sind dann die Booklet- und Pressetexte: Da wird auf den «orientalischen Vierteltongesang» hingewiesen, obwohl sich inzwischen auch im Westen verbreitet haben dürfte, dass Vierteltöne in der arabischen Musik nicht vorkommen, dafür der Dreiviertel-Tonschritt eine grundlegende Rolle spielt. (Man stelle sich vor, im Booklet wäre die Rede vom «okzidentalen Halbtongesang»; wir wären doch ziemlich erstaunt über diese Beschreibung.) Auch das zeugt nicht unbedingt von vertiefter Auseinandersetzung, sondern nach beliebiger Vermischung gegenseitiger Gemeinplätze. SRF Kulturplatz haut uns in der Berichterstattung zum Projekt einmal mehr das blödsinnige Klischee von der «Universalsprache Musik» um die Ohren, obwohl die CD ja gerade beweist, dass die unterschiedlichen Kulturen nicht so einfach kompatibel sind: Die sublime, mikrotonal ausgearbeitete Ausgestaltung von Melodielinien der arabischen Musik verliert ihre Frei- und Feinheit, wenn sie harmonisch unterlegt wird und die mikrotonale Intonation reibt sich mit den Terzschichtungen westlicher Harmonik. Ein paar klangliche Exotismen aus der anderen Kultur vermögen diese Verluste nicht so leicht aufzuwiegen.

Kurz: Es ist ein durchaus gelungenes Album, wenn wir die Verpackung und Vermarktung ausblenden. Aber alle Beteiligten haben allein schon interessantere Aufnahmen gemacht und von allen Stücken liegen bereits spannendere Interpretationen vor. Man wird darum den Eindruck nicht ganz los, es gehe hier vielmehr um ein zeitgeistiges interkulturelles Marketingkonzept, als um eine wirkliche Auseinandersetzung.

Hassan Taha / Ensemble Brunnen & Brücken: Alrozana – الروزانا (2018, Zytglogge Verlag)
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